Die Rolle des Anwalts bei Vertragsverhandlungen
Verträge bergen meistens zweierlei: wirtschaftliche Chancen und rechtliche Risiken.
Während es der Geschäftsleitung oder Vertriebsabteilung des Firmenmandanten häufig darum geht, die wirtschaftlichen Chancen zu realisieren, die in einem Vertragsabschluss liegen (Umsätze, Gewinn), ist es die Aufgabe des Anwalts, die rechtlichen Risiken zu erkennen, den Mandanten auf diese hinzuweisen und die Risiken durch geschicktes Verhandeln soweit wie möglich zu reduzieren.
Einige Beobachtungen und Erkenntnisse, die ich dabei im Laufe meiner 25-jährigen Anwaltspraxis gemacht bzw. gewonnen habe, möchte ich nachfolgend kurz darlegen.
1. Risiken erkennen erfordert Erfahrung und Phantasie
a) Um die rechtlichen Risiken zu erkennen, muss man wissen, wie die Dinge laufen können, welche Konflikte erfahrungsgemäß häufiger auftreten und wie dann die rechtliche Position des Mandanten aussieht, auch im Hinblick auf die Beweislage.
b) Beispiel – skip to c) if you find this Beispiel boring
Der Mandant (Auftragnehmer) gibt für eine von ihm zu erbringende Dienstleistung ein Kostenangebot ab. Dabei stützt er sich auf die vom Auftraggeber im Rahmen der Gespräche (unverbindlich) genannten Zahlen zum erwarteten Auftragsumfang. Der Vertragsentwurf des Auftraggebers enthält aber keine Zusage eines bestimmten Mindestvolumens.
Hier besteht die Gefahr, dass der Mandant/Auftragnehmer bei seiner Preiskalkulation von einer zu hohen Auslastung ausgeht und daher zu niedrige Preise anbietet. Später stehen dann Hallen leer, Arbeitskräfte werden nicht gebraucht und vorgehaltene Kapazitäten können nicht hinreichend genutzt werden. Das Projekt endet im finanziellen Fiasko.
Der erfahrene Anwalt weiß das und dringt daher darauf, dass der Vertrag eine Mindestauslastung verbindlich vorsieht oder eine Preisgestaltung, die eine volle Fixkostendeckung gewährleistet. Oder eine Preisanpassung, wenn die der Kalkulation zugrunde gelegten Mengen nicht eintreffen. Dazu muss man dann aber auch diese kalkulierten Mengen ausdrücklich im Vertrag nennen und zur Geschäftsgrundlage erklären, am besten verbunden mit einer konkreten Preisanpassungsklausel.
c) Der Anwalt muss sich also Gedanken darüber machen, welche Konflikte und Konstellationen auftreten können und wie sein Mandant in diesem Fall dann rechtlich dasteht.
Das gedankliche Vorwegnehmen potentieller Konflikte erfordert manchmal auch eine gehörige Portion Phantasie. Dafür reicht es nicht, sich einen Vertrag einfach nur durchzulesen, sondern man muss die einzelnen Regelungen gedanklich immer wieder „durchspielen“. Was wäre, wenn …? Und wenn dann dies oder jenes hinzukommt oder nicht so eintrifft wie erwartet, wie sieht die rechtliche Position des Mandanten dann aus? Bekommt er seine Vergütung? In welchem Umfang haftet er? Was muss und kann er jeweils beweisen? … Fragen über Fragen.
Und deshalb – das ist jetzt an den Mandanten gerichtet – beschränkt sich die Zeit, die für eine sorgfältige Vertragsprüfung erforderlich ist, eben auch nicht auf die reine „Lesezeit“.
2. Potentielle Konflikte offen ansprechen ist häufig unpopulär
a) Als Anwalt macht man häufiger die Erfahrung, dass es weder beim Gegner – was verständlich ist – noch beim eigenen Mandanten besonders gut ankommt, wenn man immer wieder auf mögliche Gefahren hinweist und damit den Vertragsabschluss „verkompliziert“.
Die Geschäftspartner verstehen sich doch seit vielen Jahren sehr gut und, nein, natürlich habe man keine bösen Absichten, ganz bestimmt werde man eine unklare Formulierung im Vertrag nicht ausnutzen, sich nicht auf ein „rein vorsorglich“ eingeräumtes Recht berufen usw. „Sie müssen uns schon vertrauen, das läuft schon so wie geplant, und was die Anwälte da immer für Risiken sehen, das ist doch rein hypothetisch, wird nie eintreten“ usw usw. „Wir wollen doch jetzt endlich zu einem Abschluss kommen, oder?“
b) Als Anwalt kann man vor dieser Sichtweise nur nachdrücklich warnen. Verträge werden gerade auch für mögliche Konfliktfälle gemacht. Solange alles gut läuft, schaut kaum jemand in den Vertrag. Der Vertrag wird aber dann relevant und wichtig, wenn sich die (nicht erwarteten) Risiken eben doch realisieren, wenn es eben doch zum (nie beabsichtigten) Konflikt kommt. Dann hört man sehr schnell vom Vertragspartner Sätze wie „Aber das steht doch so im Vertrag“ oder auch „Also ich persönlich wäre da ja kulant, aber unsere Geschäftsleitung/Gesellschafter/Aktionäre bestehen leider darauf, dass wir unsere vertraglichen Rechte vollumfänglich durchsetzen.“ Und wenn dann Ihr vertrauter Verhandlungspartner auf der Gegenseite vielleicht gar nicht mehr im Unternehmen tätig ist, dann haben Sie auf einmal ein Problem.
c) Deshalb: Verträge werden für den Konfliktfall gemacht, den sich keiner wünscht und den jeder vermeiden will, der aber eintreten kann. Nicht immer, aber … manchmal eben doch. Für diesen Konfliktfall muss man jetzt, wo man noch keinen akuten Konflikt hat und sich gut versteht, Regelungen treffen, offen und ehrlich. „Was würdet Ihr machen, wenn …“. „Wer soll in welchem Umfang den Schaden tragen, wenn …“. „Wer soll unter welchen Voraussetzungen kündigen können“? – Diese Fragen muss man im Vorfeld, also im Rahmen der Vertragsverhandlungen offen ansprechen und klären.
Kompromisse und Lösungen lassen sich leichter finden, solange alles noch hypothetisch ist. Es mag unangenehm sein, mögliche Konflikte anzusprechen, wo man doch gerade so schön in Harmonie badet, aber es ist notwendig.
Niemand weiß das besser als der Anwalt oder Notar, der einen Ehevertrag aufsetzen soll. Im liebestrunkenen Hochzeitstaumel über die Modalitäten und Folgen einer späteren Scheidung reden? Ja geht´s noch? – Ja, manchmal muss das sein, auch wenn´s vielleicht weh tut.
d) Nebenbei: Beim Gespräch über den möglichen Konfliktfall erfährt man manchmal viel mehr über den (Verhandlungs-)Partner als dann, wenn man nur über die großartigen Chancen einer gemeinsamen goldenen Zukunft schwadroniert.
3. Good Cop, Bad Cop – aber nicht übertreiben
a) Man kennt diese Verhandlungstaktik aus dem Krimi: Ein Polizist spielt den harten Hund, der den Zeugen oder Beschuldigten für einen ausgemachten Lügner hält und sehr ruppig „in die Mangel nimmt“, während sein Kollege Verständnis und Mitleid mit dem so hart Angegangenen signalisiert, um dann – gewissermaßen als Freund – eine offene und ehrliche Aussage, gern auch mal ein Geständnis, von ihm zu bekommen.
b) In so klassischer Reinform geht das bei geschäftlichen Verhandlungen natürlich nicht. Was aber geht, ist, dass der Anwalt beständig auf Nachteile und rechtliche Risiken hinweist, während der Mandant dann großzügig verkündet, dass man die Bedenken des eigenen Anwalts jetzt mal – „unter uns“ – in den Hintegrund schiebt, um zu einer großzügigen kaufmännischen Lösung zu kommen. Der Anwalt als der Böse und der Mandant als der Gute. Kann man machen.
Man sollte als Anwalt auch nicht unbedingt versuchen, der beste Freund des Verhandlungsgegeners zu werden. Die Mandanten müssen künftig miteinander arbeiten und auskommen. Als Anwalt dagegen hat man mit dem Verhandlungsgegner nach Abschluss des Vertrages idealerweise nichts mehr zu tun. Mehr als einen anerkennenden Händedruck, dass man ein kompetenter und fairer Verhandlungspartner war, sollte man vom Gegner nicht erwarten. Das ist OK so. Geschäftliche Verhandlungen mit Anwälten sind nicht dazu da, Freundschaften für´s Leben zu schließen.
c) Eine Grenze wird dann überschritten, wenn der Anwalt durch seine schroffe Art das Verhandlungsklima vergiftet und dadurch einen (an sich sinnvollen) Vertragsabschluss torpediert. Das darf natürlich nicht passieren. Zuviel des „Guten“ (knallharter Anwalt) ist schlecht.
d) Eine Abwandlung dieser Strategie besteht in folgendem Vorgehen: Lassen Sie den Vertragsentwurf von einem „harten Hund“ aus Ihrer Kanzlei ausarbeiten, der sich viele fiese Formulierungen zu Gunsten Ihres Mandanten ausdenkt und in den Text einarbeitet. In die Vertragsverhandlungen schicken Sie dann aber die sympathische Kollegin. Dieser wird der Verhandlungspartner leichter Vertrauen entgegenbringen und bei der einen oder anderen fiesen Formulierung möglicherweise ganz unbewusst davon ausgehen, dass die sympathische Kollegin „das sicher nicht so hinterhältig gemeint hat„. Erst dann, wenn es im weiteren Verlauf der Vertragsbeziehung gegebenenfalls doch zum Streit kommt und die Sache vor Gericht geht, ist wieder der harte Hund aus Ihrem Legal Team gefragt. – Wenn Sie es sich schauspielerisch zutrauen, können Sie natürlich beide Rollen auch selber spielen.
4. Interessenlage und Verhandlungsposition
a) Jede Verhandlung sollte immer und in erster Linie die Interessenlage des Mandanten berücksichtigen.
Beispiele: Was ist besser, eine Laufzeit von 3 Jahren oder von 5 Jahren? Vergütung nach Leistungsumfang und/oder Erfolg oder eine fixe Pauschale? – Die Antwort auf diese Fragen hängt von der Interessenlage des Mandanten ab. Diese gilt es vorab zu klären.
Um sachgerecht für den Mandanten verhandeln zu können, muss der Anwalt wissen, was dem Mandanten wichtig ist, was er erreichen will. Dabei sollte sich der Anwalt nicht blind auf die Angaben des Mandanten verlassen, sondern sich die Hintergründe eines beabsichtigten Vertrages schildern lassen. Vielleicht fällt dem Anwalt ja noch ein Aspekt ein, an den der Mandant bisher gar nicht gedacht hat. Bei der Gestaltung von Gesellschaftsverträgen ist das durchaus häufiger der Fall.
b) Nie ganz außer Acht lassen darf man auch die Verhandlungsposition des Mandanten. Der kleine Subunternehmer, der mit einem großen DAX-Konzern ins Geschäft (langfristige Lieferbeziehung) kommen will, wird häufig schlechtere Konditionen akzeptieren müssen, als es bei einem Vertrag unter gleich starken Playern der Fall ist. Darüber kann man nun lautstark lamentieren, aber in Vertragsverhandlungen geht es eben mitunter auch schlicht um Macht. Manche Vertragspartner sind in einer so komfortablen Position, dass sie sagen können: Das ist unser Vertrag, take it or leave it. Und da hilft es dann leider wenig, zu argumentieren, dass die eine oder andere Regelung doch unfair sei.
Es gibt dann eben nur die Alternativen: diesen Vertrag oder keinen Vertrag. – wobei die zweite Alternative manchmal auch die bessere Alternative sein kann. Besser keinen Vertrag als langfristig in einem Vertrag gefangen zu sein, bei dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken die Chancen bei weitem überwiegen. Das entscheidet zwar letztendlich der Mandant. Aber es kann aus meiner Sicht nicht schaden, wenn der Anwalt dazu eine klare Empfehlung abgibt. Denn zu diesem Zweck wurde er von seinem Mandanten ja eingeschaltet: um seinen Auftraggeber vor kostspieligen Fehlern zu warnen.
5. Spezialfall: Die Verhandlung mit stärkeren Vertragspartnern
Wenn Sie nicht gerade Anwalt in einer internationalen Großkanzlei sind, sondern eher den Mittelstand vertreten, werden Sie sich häufiger in der Lage finden, dass Sie es auf der Gegenseite mit einem Großkonzern zu tun haben. Ihr mittelständischer Mandant befindet sich also strukturell eher in der Position des schwächeren Verhandlungspartners. Diese Situation erfordert häufig ein besonderes Fingerspitzengefühl.
Effektiv ist ein Verhandeln dann, hatten wir oben schon gesagt, wenn es seinen Zweck erreicht. Die Verhandlungsstrategie muss sich also an dem orientieren, was man erreichen will. Es hilft Ihrem Mandanten wenig, wenn Sie dem Vorstand oder Geschäftsführer der Gegenseite mit Ihrer Schlagfertigkeit ständig „in die Parade fahren“ und demonstrieren, dass Sie immer noch eine schlaue Bemerkung mehr auf Lager haben. Denn letztendlich wollen bzw sollen Sie im Regelfall erreichen, dass es zu einem für Ihren Mandanten günstigen Vertragsabschluss kommt; und nicht, dass alle an der Besprechung Beteiligten Sie für Ihre rhetorische Brillianz und Schlagfertigkeit bewundern.
Da ist also manchmal eine gewisse Zurückhaltung nicht ganz unangebracht. Lassen Sie den Alpha-Typen (m/w) auf der Gegenseite ruhig in dem Glauben, dass er oder sie das Gespräch dominiert hat. Solange das Ergebnis für Ihre Mandantschaft stimmt, soll Ihnen das recht sein.
6. Der Anwalt als Brückenbauer (Elemente der Mediation)
a) Wie schon gesagt, ist der Mandant häufig der, der den schnellen Vertragsabschluss will, und der Anwalt der, der warnt, mahnt und „bremst“.
Das muss aber nicht immer so sein. Es kommt durchaus auch vor, dass sich die Parteien als die persönlich Betroffenen verrannt oder verbissen haben und allein nicht mehr zu einer verträglichen Lösung finden. Dann ist es die Aufgabe des Anwalts, tragfähige Kompromisse vorzuschlagen oder Lösungsansätze zu eruieren, an die die Parteien bislang gar nicht gedacht haben.
b) Häufig hilft dabei ein Ansatz, den man aus der Mediation kennt, nämlich: Weg von den festgefahrenen Positionen und hin zu den dahinterliegenden Interessen. Also fragen: Worum geht es den Verhandlungsparteien denn eigentlich? Welche Ziele wolle sie mit dem Vertrag jeweils erreichen?
Dabei muss ein Kompromiss nicht zwangsläufig so aussehen, dass man – um ein bekanntes Beispiel aufzugreifen – eine Orange in der Mitte teilt. Sondern manchmal kann die bessere Lösung auch lauten, dass einer, um in dem Bild zu bleiben, das saftige Fruchtfleich bekommt und der andere die Schale; nämlich dann, wenn letzterer gerade diese Schale zB zum Kuchenbacken braucht und mit dem Rest gar nichts anfangen kann.
Hier ist also vom Anwalt zweierlei gefragt: Kreativität und die Fähigkeit, die Streitparteien wieder zusammen zu bringen, damit sie offen miteinander verhandeln.
7. Fazit
Risiken erkennen und offen ansprechen, kreativ interessengerechte Lösungen finden und, wenn nötig, Brücken bauen. Darin besteht nach meiner Erfahrung die „Kunst des erfolgreichen Verhandelns“.
So etwas kann, bei allem Stress und Streit, schon auch Spaß machen.