Kennen Sie dieses Phänomen?
Schauen Sie sich einmal ein Bild von einer Gruppe von Menschen an. Das kann eine reale Gruppe sein, etwa in einem Café oder im Englischen Garten. Oder auch lediglich das Foto einer Gruppe von Menschen.
Möchten Sie zu dieser Gruppe gehören, Teil dieser Gruppe sein?
In vielen Fällen wird Ihre Antwort lautet: Ja, diese Gruppe von Leuten hier im Café oder im Englischen Garten finde ich attraktiv, da möchte ich gerne dazugehören. Oder zu der Gruppe von jungen Leuten, die sich um den Brunnen vor der Münchner Uni versammeln. …
Und jetzt schauen Sie sich einmal die einzelnen Mitglieder dieser Gruppe genauer an. Den Mann in der Mitte oder die junge Frau halb rechts und so weiter. Möchten Sie sich mit ihr oder mit ihm längere Zeit unterhalten, mit ihm oder ihr zusammen sitzen oder nebeneinander stehen und etwas trinken? …
Die Antwort auf diese Fragen lautet häufig: Nein, das möchte ich eigentlich nicht. Denn der Typ da in der Mitte erscheint mir bei näherem Hinsehen ziemlich unsympathisch. Und die junge Frau halb rechts sieht eigentlich ziemlich uninspirierend aus, um nicht zu sagen dumm und häßlich. – (Sie können „der“ und „die“ gern vertauschen, denn um das Geschlechterthema soll es hier wirklich nicht gehen).
Das ist ein in der Psychologie bekanntes Phänomen. Die Gruppe als solche wirkt – häufig zu Unrecht – attraktiver als ihre einzelnen Mitglieder.
Und jetzt meine Hypothese, denn wir müssen ja den Bogen zum Kontext Anwalt/Mandant schlagen: Bei einer Kanzlei ist das genauso. Sie möchten gern von der (großen) Kanzlei Meier-Müller-Schmidt mit ihren 20, 80 oder auch 200 Anwälten vertreten werden. Denn die erscheint Ihnen als Gruppe sehr kompetent und attraktiv.
Wenn Sie sich aber jeden einzelnen Anwalt der Kanzlei als Individuum ansehen, dann kommen Sie vielleicht zu dem Ergebnis: Eigentlich ist der (oder die) nicht kompetenter, intelligenter und/oder sympathischer als der Anwalt in seiner Einzelkanzlei gegenüber.
Diese Einzelbetrachtung sollten Sie meines Erachtens anstellen, wenn Sie sich für einen Anwalt entscheiden. Denn auch in einer größeren Kanzlei werden Sie nicht von der „Kanzlei als solcher“ beraten und vertreten, also nicht von den 200 Kollegen, die da über mehrere Standorte und ggf. Kontinente verteilt zu der Kanzlei gehören. Sondern Sie werden von einer ganz konkreten Person betreut.
Diesen konkreten Anwalt (m/w) aus der Sozietät müssen Sie mit dem Einzelanwalt vergleichen, von dem Sie sich alternativ beraten lassen könnten. Hat er promoviert? Ist er Fachanwalt? Wieviele Jahre Berufserfahrung kann er vorweisen? Finde ich ihn oder sie auch sympathisch? Vertraue ich ihm, dass er sich engagiert um mein Anliegen als Mandant kümmert? …
Und dann schauen Sie mal, zu welchem Ergebnis Sie dann kommen.