Samstag, 20. April 2024

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Der Spion im Wohnzimmer

In Zeiten von Corona wollen immer mehr Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten. Das macht ja auch durchaus Sinn. Allerdings weist die Arbeit in den eigenen vier Wänden eine Reihe von „Besonderheiten“ auf – dazu sehr anschaulich und unterhaltsam die Serie „Drinnen“ in der ZDF Mediathek. Diese Besonderheiten und – sagen wir einmal – Missbrauchsmöglichkeiten wiederum werfen einige Rechtsfragen speziell im Bereich des Arbeitsrechts auf.

Eine dieser Fragen geht dahin, welche Kontrollmöglichkeiten der Arbeitgeber eigentlich im Hinblick auf die Arbeit im Home-Office hat.

1) Was wir bisher wissen …

a) Die Problematik, wie der Arbeitgeber das Verhalten seiner Arbeitnehmer überwachen kann, ist nicht neu, sondern stellt sich auch in den Büro-, Verkaufs-  oder Fabrikationsräumen des Arbeitgebers. Man denke etwa an den Fall, dass in einer Abteilung immer wieder Waren oder Wertsachen wegkommen. …

Darf der Arbeitgeber dann Videokameras aufstellen? Nur mit entsprechendem Hinweis („Dieser Bereich wird videoüberwacht“) oder auch verdeckt?

Oder: Ein Arbeitnehmer meldet sich immer wieder arbeitsunfähig krank. Jetzt wurde er aber von einem Kollegen beim Kampfsport beobachtet. Oder als Aushilfe an der Kasse bei der Konkurrenz. …

b) Zu diesen Fragen gibt es umfangreiche Rechtsprechung.

Herausgreifen möchte ich eine Entscheidung des BAG vom Juni 2017 (2 AZR 597, 16), in der es um die Überwachung eines Arbeitnehmers durch einen vom Arbeitgeber beauftragten Detektiv ging. Hier der O-Ton des BAG im Hinblick auf die entscheidende Rechtsfrage, mit Hervorhebungen von mir:

Der mit einer Datenerhebung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers muss auch … einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten (BAG 17. November 2016 – 2 AZR 730/15 – Rn. 30; 7. September 1995 – 8 AZR 828/93 – zu II 2 c bb der Gründe, BAGE 81, 15; 22. Oktober 1986 – 5 AZR 660/85 – zu B I 2 a der Gründe, BAGE 53, 226). Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG 17. November 2016 – 2 AZR 730/15 – aaO; 15. April 2014 – 1 ABR 2/13 (B) – Rn. 41, BAGE 148, 26; 29. Juni 2004 – 1 ABR 21/03 – zu B I 2 d der Gründe, BAGE 111, 173). Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BVerfG 4. April 2006 – 1 BvR 518/02 – zu B I 2 b dd der Gründe, BVerfGE 115, 320; BAG 15. April 2014 – 1 ABR 2/13 (B) – aaO). Die (Maßnahme) darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Danach muss im Falle einer der (verdeckten) Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahme zur Aufklärung einer schwerwiegenden, jedoch nicht strafbaren Pflichtverletzung ebenso wie zur Aufdeckung von Straftaten … ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, ist … unzulässig.

2) And what´s new?

Die obigen Überlegungen gelten auch im Home-Office. Wir müssen das Rad also nicht neu erfinden.

a) Artikel 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung)

Was im Home Office – neben dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrecht – zu Gunsten des Arbeitnehmers hinzukommt, ist der Schutz der eigenen Wohnung (Art. 13 Grundgesetz). Wenn selbst der Gerichtsvollzieher zur Vollstreckung rechtskräftiger Urteile einen gerichtlichen Beschluss benötigt, um die Wohnung des Schuldners zu betreten, dann gilt natürlich umso mehr, dass der Arbeitgeber nur in den seltensten Fällen die Wohnung des Arbeitnehmers gegen dessen Willen betreten darf. Eigentlich ist so ein Betretungsrecht gegen den Willen des Hausrechtsinhabers grundsätzlich undenkbar.

Klare Aussage hierzu vom DGB-Rechtsschutz: (Der Arbeitnehmer) muss seinem Arbeitgeber … kein Zutrittsrecht in seine Wohnung/Haus ermöglichen. Das Weisungsrecht des Chefs endet an der Wohnungstür des Mitarbeiters. Also kann der Arbeitgeber auch keine Kontrolle vor Ort vornehmen (siehe hierzu: dgbrechtsschutz.de/recht/arbeitsrecht … homeoffice-was-darf-ich-was-muss-ich …).

b) Volenti non fit iniuria (- Na, kein Latein gehabt im Abi?)

Und wenn man das Betretungsrecht in der Vereinbarung über das Home-Office vertraglich vereinbart hat? Es gibt ja bekanntlich den (lateinischen) Grundsatz: volenti non fit iniuria, also demjenigen, der zugestimmt hat, geschieht kein Unrecht.

Dieser Grundsatz ist jedoch problematisch in Rechtsverhältnissen, in denen ein Vertragspartner dem anderen kräftemäßig (weit) überlegen ist. Handelt der Arbeitnehmer wirklich „freiwillig“, wenn er dem Arbeitgeber in einer Home-Office Vereinbarung den Zutritt zur Wohnung gestattet? Gerade im Arbeitsrecht besteht ja typischerweise kein Kräftegleichgewicht, sondern der Arbeitnehmer ist besonders schutzbedürftig. Das mag im Einzelfall anders sein, wenn es beispielsweise darum geht, gefragte Fachkräfte anzuwerben. Vom Grundsatz her aber, denke ich, muss man im Arbeitsrecht vorsichtig sein, ob tatsächlich jede Einwilligung des Arbeitnehmers freiwillig erfolgt ist. – Siehe hierzu auch § 26 Absatz 2 BDSG: Freiwilligkeit der Einwilligung in die Datenverarbeitung.

Besonders problematisch wird es dann, wenn der Arbeitnehmer nicht der alleinige Inhaber des Hausrechts ist. Diese Konstellation wird häufig gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer mit anderen zusammen wohnt, zum Beispiel mit seinem Ehe- oder Lebenspartner. Dann steht das Hausrecht nämlich auch dem Partner zu, und dieser wird in aller Regel nicht zustimmen, dass der Arbeitgeber (des anderen) die gemeinsame Wohnung oder das gemeinsame Haus betritt.

 c) Der Detektiv („Keule und Speer“)

Kontrollmöglichkeiten erscheinen dagegen möglich, wenn es um den Bereich außerhalb der Wohnung des Arbeitnehmers geht. So ist es unter den oben (Ziffer 1) genannten (strengen) Voraussetzungen denkbar, dass der Arbeitgeber zB durch einen Detektiv überwachen lässt, ob der Arbeitnehmer während der Home-Office Arbeitszeit sich tatsächlich im Home-Office aufhält oder ob er währenddessen zum Einkaufen geht oder für die Konkurrenz arbeitet.

Allerdings wird man für eine solche Überwachungsmaßnahme als Voraussetzung eben verlangen müssen, dass ein konkreter Verdacht (einer schweren Pflichtverletzung) vorliegt. Wenn also beispielsweise ein „ netter Kollege“ des Arbeitnehmers meldet, dass sich der betreffende Arbeitnehmer während der Home-Office Arbeitszeit regelmäßig im Fitnessstudio aufhält, erscheint es mir schon vertretbar, dies überprüfen zu lassen. Wobei die Überprüfung durch einen Detektiv heutzutage ja fast schon so „altmodisch“ anmutet wie die Jagd mit Keule und Speer. …

d) Brave New World

Es gibt da eine Vielzahl anderer, modernerer technischer Überwachungsmöglichkeiten, um zu überprüfen, ob sich der Arbeitnehmer während der Home-Office Arbeitszeit tatsächlich an seinem Computer befindet und was er dort konkret macht (siehe dazu zB www.sueddeutsche.de/digital/home-office-ueberwachung-tracking-chef-zoom-…).

Auch beziehungsweise gerade diese technischen Überwachungsmöglichkeiten müssen aber immer sorgfältig daraufhin überprüft werden, ob sie nicht zu weit in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifen. Der Arbeitnehmer ist kein DHL-Paket, das man zum Gegenstand eines lückenlosen Tracking & Tracings machen darf. … (- oder doch, immerhin ist es ja bezahlte Arbeitszeit?)

Außerdem ist auch bei den neuen computerbasierten Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten ggf. das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten.

3) Fazit: Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen

Home-Office kann sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber vorteilhaft sein. Da es in besonderem Maße missbrauchsanfällig ist, setzt es ein erhebliches Maß an Vertrauen auf beiden Seiten voraus. Die Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers enden regelmäßig an der Haustür des Arbeitnehmers.

Außerhalb des grundgesetzlich geschützen Bereichs der eigenen Wohnung gelten keine Besonderheiten im Vergleich zur bisherigen Rechtslage. Es ist stets eine Abwägung vorzunehmen mit dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, speziell im Hinblick auf den Datenschutz (§ 26 BDSG).

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
Attorney at Law

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