Donnerstag, 25. April 2024

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Die Beweislast im Kündigungsschutzprozess

Recht haben und Recht bekommen, so die Redewendung, sind zwei verschiedene Dinge. Der Grund dafür liegt häufig darin, dass man es auch beweisen muss, dass man Recht hat.

Wer was beweisen muss, richtet sich nach der sogenannten Beweislast. Vereinfacht ausgedrückt: Wer für eine bestimmte Behauptung die Beweislast trägt, den Beweis aber nicht erbringen kann, der verliert den Prozess.

Nachfolgend möchte ich die Frage der Beweislast einmal exemplarisch am Kündigungsschutzprozess darstellen, dem Hauptanwendungsfall der Klagen vor dem Arbeitsgericht.

Im Arbeitsrecht heißt die Frage hier immer: Wer trägt die Beweislast, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

1. Zugang der Kündigung

a) Die Partei, die behauptet, das Arbeitsverhältnis rechtswirksam gekündigt zu haben, muss nachweisen, dass die Kündigung dem Vertragspartner form- und fristgerecht zugegangen ist. Bei einer Arbeitgeberkündigung muss also der Arbeitgeber beweisen, dass der Arbeitnehmer die Kündigung erhalten hat.

b) Eine Kündigung mit normalem Brief ohne Empfangsbekenntnis ist offensichtlich nicht optimal, weil man dann im Streitfall den Zugang der Kündigung nicht nachweisen kann.

c) Besser daher die persönliche Übergabe gegen Empfangsbekenntnis oder die Zustellung per Boten bzw. per Einschreiben. Siehe dazu aber auch unten e) und f).

d) Auch eine Zustellung per Gerichtsvollzieher ist möglich, aber häufig unpraktisch, weil dieses Verfahren zu umständlich ist und zu lange dauert. Außerdem ist der Gerichtsvollzieher relativ teuer.

e) Beim Einschreiben mit Rückschein besteht die Gefahr, dass der Postbote den Empfänger nicht antrifft, sondern nur eine Benachrichtigung im Briefkasten hinterlässt. Wenn der Empfänger das Einschreiben (Kündigungsschreiben) dann nicht oder nur mit Verzögerung bei der Post abholt, kann es Probleme mit dem rechtzeitigen Zugang der Kündigung geben. Außerdem beweist ein Einschreiben immer nur, dass ein Schreiben zugegangen ist, nicht aber dessen Inhalt. Es könnte also auch ein leeres Blatt Papier gewesen sein. …

f) Bei der Zustellung per Boten muss man sicherstellen, dass der Bote, wenn er später vor Gericht als Zeuge auftreten soll, auch tatsächlich bestätigen kann, dass sich in dem Umschlag ein Kündigungsschreiben befand.

g) Im Einzelfall kann es hier also schon zu einer Reihe von Problemen kommen, die sich dann – wegen der Beweislastverteilung – regelmäßig zu Lasten des Kündigenden auswirken.

2. Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes

a) Der Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses und häufig auch die Höhe der Abfindung hängen entscheidend davon ab, ob für das betreffende Arbeitsverhältnis des Kündigungsschutzgesetz gilt. Dies setzt, vereinfacht ausgedrückt, voraus, dass in dem betreffenden Betrieb in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer (ausschließlich der Auszubildenden) beschäftigt werden (vergleiche hierzu § 23 KSchG).

b) Vom Grundsatz her muss der Arbeitnehmer beweisen, dass sein Arbeitsverhältnis dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt. In der Praxis kommt es hier jedoch zu einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast:

Zunächst muss der Arbeitnehmer (schlüssig) behaupten, dass in dem Betrieb in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Will der Arbeitgeber das bestreiten, dann muss er substantiiert Angaben zum Umfang und zur Struktur der in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer machen, also zum Beispiel darlegen, dass der Mitarbeiter XY kein Arbeitnehmer, sondern freier Mitarbeiter ist oder dergleichen. Zu diesen Ausführungen des Arbeitgebers muss sich dann der Arbeitnehmer wiederum substantiiert äußern, indem er zum Beispiel vorträgt, dass der Mitarbeiter XY tatsächlich eben doch weisungsgebunden und in den Betrieb eingegliedert ist, bestimmte Arbeitszeiten zu befolgen hat usw. Bleiben Behauptungen streitig, wird das Gericht Beweis erheben und kann zu diesem Zweck zum Beispiel den Mitarbeiter XY als Zeugen laden.

3. Personenbedingte Kündigung (Krankheit)

a) Auch nach dem Kündigungsschutzgesetz kann eine Kündigung berechtigt sein, wenn es hierfür Gründe gibt, die in der Person des Arbeitnehmers liegen. Krankheit kann ein solcher personenbedingter Kündigungsgrund sein.

b) Eine krankheitsbedingte Kündigung (seitens des Arbeitgebers) setzt voraus, dass eine negative Gesundheitsprognose besteht.  Dazu muss der Arbeitgeber krankheitsbedingte Fehlzeiten darlegen, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitnehmer auf nicht absehbare Zeit krank ist (langandauernde Krankheit) oder dass auch künftig mit häufigeren Kurzerkrankungen in erheblichem Umfang gerechnet werden muss.

c) Die Beweislastverteilung sieht hierbei wie folgt aus:

Zunächst muss der Arbeitgeber Art und Dauer der bisherigen Erkrankungen angeben. Legen diese eine negative Gesundheitsprognose nahe, ist es sodann Sache des Arbeitnehmers darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt – anders als vom Arbeitgeber angenommen – eben doch mit einer alsbaldigen Genesung bzw. zumindest künftig mit weniger häufigen Erkrankungen zu rechnen ist. Dies kann der Arbeitnehmer dadurch tun, dass er seine Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, so dass diese konkret darlegen können, warum keine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft gegeben ist.

Gelingt dem Arbeitnehmer das, dann ist die Indizwirkung, die von den bisherigen Fehlzeiten ausgeht, erschüttert. Es wäre dann wiederum Sache des Arbeitgebers, den Beweis dafür zu erbringen, dass eben doch eine negative Gesundheitsprognose gegeben ist, zum Beispiel durch ein entsprechendes (ärztliches) Sachverständigengutachten.

4. Verhaltensbedingte Kündigung (Pflichtverletzung)

a) Eine Kündigung kann auch rechtmäßig sein, wenn sie durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt ist.

b) Für das Vorliegen einer schuldhaften Vertragsverletzung durch den Arbeitnehmer und ihre betrieblichen Auswirkungen ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.

c) Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt zudem in der Regel eine ordnungsgemäße Abmahnung voraus. Auch dafür, dass er den Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt hat, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.

d) Viele verhaltensbedingte Kündigungen scheitern in der Praxis daran, dass es dem Arbeitgeber nicht gelingt, die schuldhafte Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer und die vorangegangene ordnungsgemäße Abmahnung im Prozess zu beweisen.

5. Betriebsbedingte Kündigung (Wegfall des Arbeitsplatzes)

a) Die weitaus häufigsten Arbeitgeberkündigungen werden auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem Betrieb entgegenstehen (sogenannte betriebsbedingte Kündigung).

b) Der Umstand, dass solche Prozesse häufig in einem Vergleich enden, liegt auch daran, dass die Regeln zur Darlegungs- und Beweislast im Falle einer betriebsbedingten Kündigung durchaus komplex sind und dass die entsprechenden Beweise häufig nicht einfach zu erbringen sind.

Aber sehen wir uns das einmal der Reihe nach an:

a) Eine betriebsbedingte Kündigung setzt zunächst einmal eine entsprechende Unternehmerentscheidung voraus. Dazu muss der Arbeitgeber darlegen, wer wann eine solche Entscheidung getroffen hat. Wird das dann vom Arbeitnehmer bestritten, muss es vom Arbeitgeber konkret bewiesen werden.

Bei der betriebsbedingten Kündigung muss man unterscheiden: Wird die Kündigung auf innerbetriebliche oder auf außerbetriebliche Umstände gestützt?

aa) Ein außerbetrieblicher Umstand wäre zum Beispiel der Wegfall von Aufträgen. Hier muss der Arbeitgeber darlegen, ob und in welchem Umfang Aufträge zurückgegangen sind. Des weiteren muss er nachvollziehbar berechnen, wie und in welchem Umfang der Auftragsrückgang zu einem Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten geführt hat. Diese Darlegungen unterliegen im vollen Umfang der gerichtlichen Überprüfung. Das Gericht kann und muss also überprüfen, ob die unternehmerische Entscheidung tatsächlich getroffen wurde und ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Auftragsrückgang und Wegfall des Beschäftigungsbedarfs besteht.

bb) Alternativ kann der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung auch auf innerbetriebliche Umstände stützen. Da es ja sein Unternehmen ist, für welches er als Arbeitgeber das unternehmerische Risiko trägt, kann er auch ohne außerbetriebliche Umstände schlicht eine gestaltende Entscheidung zur Neuorganisation treffen. Dies erfordert allerdings ein schlüssig nachvollziehbares Konzept, wie die Arbeitsmenge künftig von weniger Arbeitnehmern bewältigt werden soll.

Zum Beispiel könnte der Arbeitgeber die Entscheidung treffen, seinen Betrieb künftig ohne Abteilungsleiter zu führen, also eine Hierarchieebene zu streichen. Er muss dann allerdings darlegen, wie die Arbeiten, die bislang der Abteilungsleiter verrichtet hat, künftig von der Geschäftsführung oder von anderen Arbeitnehmern erledigt werden sollen. Die unternehmerische Entscheidung darf jedenfalls nicht willkürlich sein. Insofern findet auch hier eine richterliche Kontrolle statt. Allerdings wäre es eine durchaus nachvollziehbare unternehmerische Entscheidung, dass er künftig weniger Aufträge annehmen und seinen Betrieb reduzieren will.

Ob der Arbeitsrichter diese unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers für wirtschaftlich sinnvoll hält oder nicht, ist nicht relevant. Erforderlich ist nur, dass die Unternehmerentscheidung sachlich nachvollziehbar und nicht willkürlich ist.

c) Des weiteren obliegt dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer im Betrieb oder Unternehmen besteht. Auch insoweit gilt wieder eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast:

Bestreitet der Arbeitnehmer den Vortrag des Arbeitgebers substantiiert, dann muss der Arbeitgeber nachweisen, dass eine vom Arbeitnehmer konkret vorgetragene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit tatsächlich nicht besteht. „Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit“ heißt anderer freier Arbeitsplatz. Der Arbeitnehmer muss also darlegen, welcher andere Arbeitsplatz im Unternehmen frei ist und von ihm ausgefüllt werden könnte. Legt er dies dar, muss der Arbeitgeber seinerseits dem Gericht beweisen, dass diese konkrete anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer tatsächlich nicht besteht, zum Beispiel weil dieser Arbeitsplatz tatsächlich nicht frei oder der Arbeitnehmer für diesen Arbeitsplatz nicht geeignet ist.

d) Letzter Punkt: Soziale Auswahl. Im Kündigungsgesetz heißt es dazu: Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben (§ 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz).

Von der Beweislast her sieht es wie folgt aus: Der Arbeitnehmer muss rügen, dass der Arbeitgeber entweder gar keine soziale Auswahl vorgenommen hat oder dass die vom Arbeitgeber vorgenommene soziale Auswahl fehlerhaft ist. Sodann hat der Arbeitgeber die Gründe für die getroffene Auswahl mitzuteilen. Dazu gehört, dass er darlegt, mit welchen anderen Arbeitnehmern der gekündigte Arbeitnehmer vergleichbar ist (Vergleichsgruppe), welche anderen Arbeitnehmer also in die Sozialauswahl einbezogen wurden. Der Arbeitgeber muss außerdem darlegen, welche sozialen Gesichtspunkte (Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) er zu Grunde gelegt und wie er sie bewertet hat.

An der fehlerhaften sozialen Auswahl scheitern die meisten betriebsbedingten Arbeitgeberkündigungen.

6. Außerordentliche Kündigung (Fristlose Kündigung)

a) Eine außerordentliche, fristlose Kündigung setzt gemäß § 626 BGB voraus, dass hierfür ein wichtiger Grund vorliegt. Dies muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen.

b) Die Kündigung kann außerdem nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat (§ 626 Abs. 2 BGB). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Kündigung innerhalb dieser Zweiwochenfrist liegt, trägt der Arbeitgeber.

7. Fazit und noch was Wichtiges zum Schluss

a) So, das waren die wichtigsten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast bezogen auf zentrale Themen des Kündigungsschutzprozesses.

Ist das jetzt schon alles? Nein, natürlich nicht. Zum einen gibt es noch sehr viele weitere Einzelfälle, auf die ich oben nicht näher eingegangen bin. Die Auflistung ist also keineswegs vollständig.

b) Vor allem aber gibt es noch ein paar allgemeine Grundsätze, die man im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast kennen muss:

aa) Darlegen und beweisen ist nicht das gleiche. Darlegen bedeutet zunächst einmal, dass man substantiiert und konkret bestimmte Tatsachen behauptet. Die Aussage, der Arbeitnehmer habe eine „schwere Arbeitspflichtverletzung“ begangen, wäre beispielsweise keine konkrete substantiierte Darlegung, sondern lediglich eine pauschale Behauptung. So etwas reicht nicht.

bb) Beweisen muss man nur das, was von der Gegenseite auch bestritten wird. Unstreitiges muss man dagegen nicht beweisen. Wenn der Arbeitgeber also beispielsweise darlegt, dass der Arbeitnehmer (Taxifahrer) während der Arbeitszeit eine Flasche Whiskey getrunken hat, dann muss der Arbeitgeber das nur dann beweisen, wenn es vom Arbeitnehmer bestritten wird.

cc) In diesem Zusammenhang muss man auch wissen, dass in zivilgerichtlichen Verfahren für beide Parteien die Wahrheitspflicht gilt. Auch vor dem Arbeitsgericht müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer daher die Wahrheit sagen, sonst machen sie sich gegebenenfalls sogar strafbar (Prozessbetrug).

dd) Und wenn man sich zu einem relevanten Punkt nicht äußert, obwohl man dazu etwas sagen kann, dann gilt die gegnerische Behauptung als zugestanden. Wenn sich unser Arbeitnehmer von oben bb) also zB wie folgt einlässt: „Ob ich während der Arbeitszeit eine Flasche Whiskey getrunken habe oder nicht, sage ich nicht; das soll mir der Arbeitgeber doch erst mal beweisen“. – dann unterliegt er einem Irrtum. Die Behauptung des Arbeitgebers wird vielmehr als unstreitig behandelt und muss vom Arbeitgeber nicht bewiesen werden.

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
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