Corona hat den Kulturbetrieb nahezu zum Erliegen gebracht. Lange Zeit gab es keine Konzerte mehr, kein Kino und kein Theater.
Aber jetzt stemmt sich die Landeshauptstadt München mit Macht gegen diese kulturelle Verödung und hat zum Beispiel die „Sommerbühne im Stadion“ ins Leben gerufen. Das sind Konzerte unter dem Dach des Olympiastadions. Also da wurde auf einer Teilfläche oberhalb der festen Stadionbestuhlung eine Bühne aufgebaut, vor der jetzt Klappstühle stehen. Und auf dieser Bühne treten dann, sagen wir mal, lokale Bands auf, die man sonst eher nicht im Olympiastadion erwarten würde.
Das Ganze ist eine gute Idee. Eine sehr gute sogar. Nur die Umsetzung der Auflagen zum Schutz vor Corona scheint manchmal doch etwas sehr bürokratisch. Ich bringe einmal ein paar Beispiele:
1. Wenn man zu so einem Konzert will, muss man sich vorher anmelden und ein Ticket im Internet buchen. Das Ticket kostet nichts, dafür werden aber die Daten (Personalien) registriert. Tickets gibt es immer nur im Zweierpack, also 2 Plätze nebeneinander. Wenn man allein hingehen will, muss man trotzdem 2 Tickets buchen. Geht man zu dritt, sitzen zwei Leute nebeneinander und der (oder die) Dritte 4 Plätze weiter links oder rechts oder in der Reihe davor oder dahinter, wenn da noch was frei ist. Jedenfalls nicht neben den beiden anderen, mit denen man fünf Minuten vorher noch eng beisammen in der U-Bahn stand. Das ist etwas misslich für Familien mit einem Kind. Ein Familienmitglied wird dann nämlich zwangsgetrennt. Häufig ist das der Papa.
2. Da man Tickets, wie gesagt, immer nur im Zweierpack erwerben kann, haben manche Leute regelmäßig ein Ticket zu viel. Das bieten sie dann, wie man beobachten kann, vor dem Stadioneingang anderen Musikliebhabern an. Vom Veranstalter gewollt ist das nicht. Aber es kommt natürlich vor, vor allem dann, wenn ein Konzert einmal ausverkauft ist. Warum soll man auch dem netten Musikfan, mit dem man sich vor dem Stadion noch so angeregt unterhalten hat, nicht sein überzähliges Ticket für diese Augsburger Band mit dem texanischen Namen anbieten? Kontrolliert wird das am Eingang nicht, sondern wenn zwei Leute gemeinsam reingehen, dann gehören sie eben zusammen.
3. Innen drin im Konzertbereich sind dann alle Wege mit Pfeilen auf dem Boden markiert. Die Ordner legen Wert darauf, dass sich die Besucher auch an diese Pfeileregelung halten und möglichst auf direktem Weg den ihnen zugewiesenen Sitzplatz aufsuchen. Auf dem Weg dorthin hat man eine Maske zu tragen. Diese darf erst am Sitzplatz abgelegt werden. So will es der Securityman.
4. Herumlaufen ist nicht. Der Konzertbereich ist zwar relativ weitläufig. Also man könnte ohne weiteres zum Stadionrand hinübergehen und sich das frische grüne Gras des Stadionrasens von oben ansehen. Dabei vielleicht sogar sein legal am Verkaufsstand erworbenes Mezzo Mix reinschlabbern. Also man könnte, wenn man denn dürfte. Dürfen tut man es aber nicht. Denn die Ordner achten peinlich darauf, dass der Besucher entweder auf seinem Sitzplatz verweilt oder sich auf direktem Wege zu einem Getränkestand begibt, um dort etwas zu kaufen. Dann aber bitte nicht auf dem gleichen Weg zurück, sondern immer schön den Pfeilen folgen. Und nein, man darf sein Getränk nicht abseits des zugewiesenen Sitzplatzes konsumieren, obwohl dort vielleicht 5 oder gar 10 m links oder rechts von einem kein anderer Mensch steht. Nein, das geht nicht. Getrunken wird nur am Sitzplatz. Also direkt neben der unbekannten Person, mit deren geschenktem Ticket man gerade das Stadion betreten hat.
5. Ist das alles sinnvoll? Im Einzelfall ist es das nicht. Das Ansteckungsrisiko ist sicher geringer, wenn man sich 10 m abseits der bestuhlten Reihen fern von anderen Besuchern aufhält, mit oder ohne Maske. Aber das geht eben nicht. Und da lassen die Ordner auch nicht mit sich reden. Vielleicht würden sie es ja gerne, dürfen sie aber nicht, denn die haben da ihre Vorgaben. Selbständiges Denken ist bei diesen Vorgaben nicht vorgesehen.
6. Möglicherweise geht es nicht anders. Möglicherweise wäre es wirklich zu kompliziert, wenn jeder Ordner im Einzelfall entscheiden dürfte/müsste, ob es vertretbar ist, dass der Besucher X jetzt (mit oder ohne Maske) in einem bestimmten Bereich des Konzertareals auf und ab wandelt. Was, wenn Besucher Y das dann auch will? Was, wenn sich die beiden dabei zu nahe kommen, wer hat dann den Vorrang? Der, der zuerst da war? Oder der ältere? Oder die Frau mit dem Kind? …
7. Mancher Ordner, denke ich, wäre durchaus in der Lage, mit den Beteiligten eine vernünftige Einzelfallregelung zu finden. Anderen Securityleuten – oder auch manch anderem Besucher – kann man diese Kompetenz nicht unbedingt zutrauen. Und deshalb ist es im Endeffekt wahrscheinlich doch besser oder zumindest vertretbar, wenn man eben allgemeine Regeln aufstellt und dann darauf achtet, dass diese auch eingehalten werden. Also keine Herumlaufen. Kein sich gegen die Pfeilrichtung Bewegen, auch wenn einem da weit und breit keine andere Person entgegenkommt. Und auf dem Weg zum Getränkestand „Maske auf!“, auch wenn man anderen Leuten dabei nicht ansatzweise so nahe kommt wie in der U-Bahn auf dem Weg zum Stadion.
8. Generelle Regeln und Einzelfallgerechtigkeit, der ewige Konflikt. Vor Gericht kann man nach langem Überlegen und Abwägen manchmal zu dem Ergebnis kommen, dass im Einzelfall nach Treu und Glauben ggf. ein Abweichen von der Regel gerechtfertigt ist. Der Ordner im Stadioneinsatz kann und darf diese Entscheidung nicht treffen.
Auch wenn man dabei als Besucher manchmal den Eindruck haben kann, dass hier – sozusagen als erstes Coronaopfer – der gesunde Menschenverstand auf der Strecke geblieben ist.