In Bayern gelten seit ein paar Tagen sehr weitreichende Ausgangsbeschränkungen. Ziel ist es, physische und soziale Kontakte außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern bzw. zu verlangsamen.
In diesem Zusammenhang stellt sich für manche Leute, die gern wandern, die Frage: Darf ich jetzt eigentlich noch mit dem Auto von München in die Berge fahren?
1. Meine erste spontane Antwort auf diese Frage war: Ja natürlich, warum denn nicht? Wenn ich allein (oder mit meiner Familie) im Auto sitze, dann vorbereite ich das Virus doch nicht. Jedenfalls nicht mehr, als wenn ich mich allein (oder mit meiner Familie) zu Hause in meiner Wohnung aufhalte.
2. Schaut man sich dann allerdings die am 20.03.2020 von der bayerischen Staatsregierung (genauer: vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege) erlassene Allgemeinverfügung an, dann kommen einem doch Zweifel, ob diese spontane Antwort wirklich richtig ist.
Also dann schauen wir uns diese Allgemeinverfügung (https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2020/03/20-03-20-ausgangsbeschraenkung-bayern-.pdf) einmal näher an:
a) In Ziffer 4 heißt es wörtlich: „Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.“
b) Sodann werden in Ziffer 5 einzelne Ausnahmen aufgelistet. Eine dieser Ausnahmen, nämlich Ziffer 5 g) lautet: „Triftige Gründe sind insbesondere … Sport und Bewegung an der frischen Luft …“.
c) Aber ist es für die Bewegung an der frischen Luft wirklich zwingend erforderlich, dass man dafür erst ca. 100 km von München nach Garmisch, Mittenwald oder an den Spitzingsee fährt? Wohl eher nicht.
3. Man könnte nun allerdings argumentieren: Die Ausnahmen in Ziffer 5 der Allgemeinverfügung werden nur „insbesondere“ genannt. Es sind also auch andere Ausnahmen möglich, die nicht ausdrücklich in Ziffer 5 aufgelistet sind, sondern sich aus Sinn und Zweck der Regelung ergeben. Kann man also sagen: Wer allein mit dem Auto unterwegs ist, steckt niemanden an und darf deshalb nach wie vor nach Belieben zum Beispiel von München aus in die Berge fahren?
4. Ich denke, man sollte mit dieser Argumentation vorsichtig sein. Denn eine längere Autofahrt hat ja schon das Potenzial, zu mehr Sozialkontakten zu führen, als wenn man sich zu Hause in seiner Wohnung aufhält.
a) So kann es beispielsweise notwendig werden, während einer längere Autofahrt zu tanken. Es kommt also zu Sozialkontakten an der Tankstelle.
b) Ausflügler müssen zwischendurch häufig etwas essen oder trinken. Das führt dazu, dass es zu Sozialkontakten an Raststätten oder Kiosken kommen kann. (Von möglichen Menschenansammlungen auf überfüllten Wanderwegen ganz zu schweigen).
c) Außerdem weiß man ja aus eigener Erfahrung, zumal wenn man Frau und Kinder hat, dass ein längerer Ausflug häufig dazu führt, dass zumindest ein Familienmitglied unterwegs immer zur Toilette gehen muss. …
d) Und das sind nur die vorhersehbaren, sozusagen planbaren Sozialkontakte. Eine längere Autofahrt erhöht aber natürlich auch das Unfallrisiko. Das heißt, es kann zu einem Verkehrsunfall kommen, der dann auch wieder ungewollte Sozialkontakte auslöst.
e) Des weiteren kann es auch bei einer Bergwanderung zu Unfällen kommen, die dann den Einsatz von Sanitätern erforderlich machen. Gerade so etwas aber sollte man in der gegenwärtigen Situation vermeiden. Medizinisches Personal wird andernorts dringender benötigt, als Wanderer zu retten bzw. zu versorgen, die sich in den Bergen den Fuß verstaucht haben.
5. Fazit bzw. Zwischenergebnis: Bei vernünftiger Betrachtungsweise muss man die bayerische Allgemeinverfügung wohl so auslegen, dass auch Autofahrten unterbleiben sollten bzw. müssen, die durch keinen der in Ziffer 5 der Allgemeinverfügung explizit genannten Gründe (Arbeit, Arztbesuch, Einkaufen, Versorgung von Tieren usw.) gerechtfertigt sind.
6. Fragen wir Münchner uns doch einmal umgekehrt: Was würden wir sagen, wenn der Mittenwalder mit seinem Auto nach München fährt, um dort im Englischen Garten an der frischen Luft spazieren zu gehen? Würden wir dem nicht auch entgegenhalten, dass er seine Spaziergänge doch bitte bei sich zuhause in Mittenwald machen soll? …
7. Oder vergleichen wir die Situation mit Grenzkontrollen: Grenzkontrollen dienen ja letztendlich auch dem Zweck, die Mobilität der Menschen einzuschränken, um die Verbreitung des Virus zu verhindern oder zu verlangsamen. Ob ich nun aber von München nach Mittenwald (Bayern) oder von München nach Scharnitz (Österreich) fahre, macht für die Verbreitung des Virus eigentlich keinen Unterschied. Beides ist in der gegenwärtigen Situation kontraproduktiv.
8. Andererseits dürfen Beschränkungen der Freiheitsrechte immer nur dann angeordnet werden, wenn sie verhältnismäßig sind. Das heißt, sie müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Und in diesem Zusammenhang kann man natürlich schon fragen, ob das Verbot, allein mit dem Auto herumzufahren, überhaupt „geeignet“ ist, eine Ausbreitung des Virus zu verhindern, geschweige denn verhältnismäßig im engeren Sinne. … (Dazu aber oben Ziffer 4 a bis e).
9. Und wenn Sie sich jetzt fragen: Gibt es denn nichts Wichtigeres? – Recht haben Sie, es gibt tatsächlich wichtigere Rechtsfragen im Zusammenhang mit Corona als eine Fahrt in die Berge.