Mittwoch, 24. April 2024

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Impfpflicht, Impfzwang und andere Fragen

In der aktuellen Diskussion wird jetzt seit einiger Zeit differenziert zwischen Impfpflicht auf der einen Seite und Impfzwang auf der anderen.

Hierzu ein paar Gedanken:

1. Impfpflicht und Impfzwang

Die Impfpflicht ist in gewisser Weise das, was auf dem Papier steht: Du sollst/musst dich impfen lassen.

Der Impfzwang dagegen regelt, wie eine bestehende Pflicht durchgesetzt werden soll.

Macht diese Differenzierung Sinn? Theoretisch und systematisch ja, praktisch wohl eher weniger. Denn eine Pflicht, die nur auf dem Papier steht, ist nicht viel wert. Eine Impfpflicht anzuordnen, die dann aber nicht wirksam durchgesetzt wird, ist meines Erachtens Augenwischerei.

2. Sanktionen für Impfverweigerer

Letztendlich verlagert sich die Problematik also dahin, ob und in welcher Weise man eine Impfpflicht durchsetzen will.

Favorisiert wird, wenn ich es richtig sehe, ein Bußgeld. Da muss man jetzt aber schon noch ein bisschen weiter denken.

a) Denn eine Impfverweigerung ist ja gewissermaßen ein Dauerdelikt. Anders als etwa ein Rotlichtverstoß (bei roter Ampel über die Straße gehen) findet ein sich-nicht-impfen-lassen nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt statt, sondern erstreckt sich über einen längeren Zeitraum. Wie soll man darauf mit einem Bußgeld reagieren? Wird ein solches Bußgeld nur einmal verhängt und ersetzt dann sozusagen den Impfpass mit der Folge, dass derjenige, der das Bußgeld einmal bezahlt hat, dann nicht mehr belangt werden kann?

Oder verhängen wir dieses Bußgeld einmal im Jahr, einmal im Monat, einmal in der Woche oder einmal am Tag? Oder kann es sogar mehrmals am Tag verhängt werden, früh morgens beim Bäcker, dann in der U-Bahn, dann noch einmal mittags in der Kantine, abends im Kino? … Oder sogar immer dann, wenn jemand von einem Kontrolleur ohne Impfnachweis erwischt wird?

b) Und was machen wir mit demjenigen, der das Bußgeld nicht bezahlen kann? Kommt der dann doch ins Gefängnis (Ersatzhaft)? …

Und weil wir schon einmal beim Thema Corona sind, jetzt noch ein paar weitere Gedanken:

3. Wissenschaft und Vertrauen

Wir gehen derzeit weit überwiegend davon aus, dass es sinnvoll, vernünftig und absolut geboten ist, sich impfen zu lassen, weil uns das die Wissenschaft eben so sagt. Aber ist es deshalb wirklich zwingend richtig?

Also man muss zumindest einräumen: Selber überprüfen können wir diese Aussage der Wissenschaft – wie so Vieles im Leben – nicht. Die wenigsten Juristen dürften über den medizinischen Sachverstand verfügen, um tatsächlich selbstständig beurteilen zu können, ob die derzeit zur Verfügung stehenden Impfstoffe tatsächlich auch langfristig keine unerwünschten Nebenwirkungen haben.

Nun sagen uns aber die Wissenschaftler und die hierfür zuständigen medizinischen Kommissionen, dass die Impfstoffe absolut sicher sind. Ist es da schon polemisch, beispielsweise den Fall Contergan anzusprechen? Das war auch ein Medikament, welches seinerzeit von der Wissenschaft und den zuständigen Kommissionen als harmlos eingestuft und zugelassen wurde. Trotzdem hat es letzten Endes das Leben vieler Menschen zerstört. …

Die Erkenntnisse der Wissenschaft, und eben auch der Medizin, sind nach wie vor durchaus beschränkt, far from perfect sozusagen. Wie dichtete der alte Goethe so schön: Habe nun, ach! … Und sehe, dass wir nichts wissen können! …

4. Gruppenzwang und eigene Meinung

Ist es wirklich wünschenswert, dass sich jetzt ausnahmslos alle Menschen zu 100 % zweimal, dreimal oder gar noch häufiger impfen lassen?

Ist es nicht umgekehrt  – angesichts der mit jeder medizinischen Empfehlung einhergehenden Ungewissheit – geradezu wünschenswert, wenn ein bestimmter Anteil der Menschheit sich eben nicht nach der herrschenden Meinung richtet, sondern eine abweichende Auffassung vertritt und dann auch nach dieser lebt? …

5. Geimpft und/oder genesen

Wenn ich es richtig mitbekommen habe, spielt ein bekannter Virologe mit dem Gedanken, sich bewusst mit dem Corona-Virus zu infizieren. Warum? Weil das Durchmachen der Krankheit zu anderen, womöglich wirksameren Abwehrmechanismen des Körpers führt als eine Impfung. Er als gesunder (und geimpfter) Erwachsener halte eine solche Infektion für vertretbar.

Wenn das aber schon ein führender Immunologe sagt, der seinerseits durchaus an die Effektivität von Impfungen glaubt, müssen wir dann nicht weniger wissenschaftsaffinen Zweiflern umso mehr das Recht zugestehen, sich nicht impfen zu lassen, sondern es ggf  auf eine Infektion ankommen zu lassen?

Aber diese Menschen, also Ungeimpfte, stellen doch eine Gefahr für andere dar, gefährden andere Menschenleben? Ja, aber wenn eine Impfung doch so effektiv ist, sollten die Geimpften dann nicht durch ihre eigene Impfung hinreichend vor einer Ansteckung mit lebensbedrohlichen Folgen geschützt sein?

Also bevor Sie mich jetzt fälschlicherweise in die Gruppe der Impftverweigerer einordnen: Ich selbst bin doppelt geimpft und vertraue in gewisser Weise auch den Aussagen und Empfehlungen der Wissenschaft, dass eine Impfung sehr sinnvoll und in aller Regel ungefährlich ist. Ich habe umgekehrt aber eben auch Verständnis für Menschen, die das anders sehen und sich aufgrund ihrer eigenen autonomen Entscheidung gegen eine Impfung aussprechen. Denn auch für eine Impfverweigerung gibt es meines Erachtens Gründe, die man zwar nicht teilen muss, die man aber durchaus nachvollziehen kann. Auch wenn natürlich nicht alles, was aus der Ecke der Impfverweigerer kommt, nachvollziehbar ist.

Aber Juristen kennen ja den Grundsatz in dubio pro reo, also im Zweifel für den Angeklagten. Eine Verurteilung ist nur dann gerechtfertigt, wenn man wirklich jedes Gegenargument entkräften kann. Greift auch nur ein Gegenargument durch, dann dürfen wir den Angeklagten nicht schuldig sprechen, auch wenn vier von fünf seiner zur Verteidigung vorgebrachten Argumente erkennbar unsinnig und widerlegbar sind.

6. Die Omikron-Variante und die Presse

Jetzt also die Omikron-Variante. In der Presse wird, wenn ich das richtig wahrnehme, ziemliche Panik geschürt, dass diese Variante ansteckender (und gefährlicher?) sei als alles, was wir bisher kennen.

Andererseits: Hat nicht die südafrikanische Ärztin, die diese Variante entdeckt oder zumindest gemeldet hat, auch gesagt, dass diese Variante typischerweise mit besonders milden Symptomen einhergeht?

Also ich bin weit davon entfernt, den Leuten recht zu geben, die von „Lügenpresse“ sprechen. Aber es ist doch schon auch bekannt, dass die Presse Ereignisse gern dramatisiert. Aus einem Waldbrand wird gern ein „Flammenmeer“ oder „Feuerinferno“, weil sich so eine Schlagzeile eben besser verkauft.

7. Tod und Triage

Letzter Punkt: Wenn von Triage berichtet wird, dann klingt das oft so, als würden hier Schwerverletzte, Blut überströmte Menschen mit klaffenden Wunden und ohne Schmerzmittel auf irgendeinem Schlachtfeld liegen, ohne dass man sich um sie kümmern würde. Ein Kriegsszenario eben.

Tatsächlich ist es aber doch wohl eher so, dass man Menschen, die häufig aufgrund anderer Vorerkrankungen nicht mehr geheilt werden können, eben nicht auch noch intubiert und für mehrere Wochen oder gar Monate an ein Beatmungsgerät anschließt. Eine Entscheidung also, die der betroffene Patient möglicherweise auch bei Verfügbarkeit eines „Intensivbettes“ so treffen würde oder getroffen hätte, wenn er rechtzeitig an eine Patientenverfügung gedacht hätte. Wenn man mit über 80 unheilbar krank ist, will man dann wirklich bis zum letzten Atemzug (bzw sogar darüber hinaus) „ausbehandelt“ werden. Oder setzt man sich dann nicht lieber die Kopfhörer auf, hört sich ein letztes Mal einen Taylor Swift Song an – I think I´ve seen this film before, and I didn´t like the ending … – und lässt den Dingen dann seinen Lauf? … Ich weiß es nicht, muss jeder für sich selber entscheiden.

8. Ein Blick in die Glaskugel

Schauen wir einmal in die Glaskugel: Die allgemeine Impfpflicht wird kommen, und sie wird verhältnismäßig gering sanktioniert werden (Bußgeld). Es werden sich trotzdem nicht alle Menschen impfen lassen, und die Menschheit wird lernen, mit Corona umzugehen. Viele werden daran erkranken und die Krankheit überstehen. Andere werden sich, wie gegen die Grippe, jährlich impfen lassen. Wieder andere, vor allem ältere Menschen, werden statt an der Grippe oder einer anderen Krankheit an oder mit Corona sterben. Und es wird nicht mehr weh tun als der Tod durch Krebs, ALS oder einen Schlaganfall.

My opinion. Feel free to disagree.

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
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