Kommen Sie mit zum Feringasee?
Feringasee, was ist dort?
Nur so ein Badesee, mit Strand, Sonne, nichts Besonderes.
Ach nein, ich glaub, ich bleib lieber hier im Hotel. Aber viel Spaß. …
Eigentlich wäre er gerne mit den beiden Jungschauspielerinnen losgezogen. Vor allem die eine, die blonde, gefiel ihm sehr gut. Sie hatte so etwas Tiefgründiges und dabei doch Leichtes. Schwer zu beschreiben. …
Aber was sollte er da an diesem Baggersee? Auf einem Handtuch im Sand liegen? Er, in seinem Alter? Da war es hier im fünf Sterne Hotel doch deutlich bequemer. Und einen Pool auf der Dachterrasse hatte er ja auch. Wahrscheinlich würde er sich dort oben an einen Tisch setzen, ein Glas Wein trinken, oder einen Cocktail, oder was ihm der Barkeeper eben sonst so vorschlug.
Sie waren für ein paar Tage hier in München, um eine neue Episode der Krimi-Reihe Baumann und … zu drehen, die seinen Namen, also seinen Filmnamen, im Titel trug. Baumann, das war er, die Hauptperson. Im Grunde genommen drehte sich in der Reihe alles um ihn.
Aber es fühlte sich nicht so an. Im Gegenteil, er hatte vielmehr den Eindruck, dass die ganze Filmerei den anderen Beteiligten viel mehr Spaß machte als ihm. Den beiden jungen Kolleginnen sowieso, die standen außerhalb des Sets ja auch immer im Mittelpunkt. Jeder (Mann) drehte seinen Kopf nach ihnen um, wollte sie sehen, vielleicht sogar ein Selfie mit ihnen machen. Mit ihm auch, ja, aber ihn fragten eher die etwas älteren Damen, und eigentlich fand er das ziemlich nervig.
Er würde also den Nachmittag, und wahrscheinlich auch den Abend, hier im Hotel verbringen. Eigentlich ja kein schlechtes Leben hier auf der Dachterrasse mit Blick über München. Er könnte in den Swimmingpool gehen, aber eigentlich war ihm das Wasser zu kalt. Und eigentlich zeigte er sich auch nicht gern in der Badehose. Er sah zwar noch ganz gut aus, aber mit Ende 50 ist der Körper eben nicht mehr so wie mit Anfang 20. Obwohl, genau genommen, hatte er auch mit Anfang 20 nicht besonders sportlich ausgesehen.
Bei ihm waren es wohl eher die „inneren Werte“, die dazu geführt hatten, dass er es in der Filmbranche zu etwas gebracht hatte. Nicht international, nein, das nicht, aber hier in Deutschland war er schon das, was man einen Star nennen konnte. Populär, man kannte ihn und man schätzte ihn. Besonders die älteren Zuschauer konnten sich offenbar gut mit ihm identifizieren. Man sah ihn gern in der einen oder anderen Hauptrolle, vor allem eben als Hauptkommissar Baumann. Deshalb war er auch gut gebucht. Es ging ihm gut.
Aber dann auch wieder nicht. Jetzt, am Vorabend dieses Drehs zum Beispiel. Die anderen waren unterwegs, an diesem Feringasee oder wie der hieß. Oder in der Stadt. Freunde treffen oder Kollegen von früher, von der Schauspielschule. Shoppen gehen. Vielleicht verabredeten sie sich auch mit einer heimlichen Geliebten, trafen ein paar Fans oder taten was auch immer. Das meiste davon würde er später auf ihren Instagram Accounts nachverfolgen können, wenn es ihn interessierte. Was es erstaunlicher Weise tat.
Natürlich könnte er auch in die Stadt zum Einkaufen. Aber was sollte er kaufen? Noch einen Anzug, ein legeres Hemd? Neue Sneakers? Er hatte doch schon genug von all dem Zeug. Außerdem wurde er in der Stadt regelmäßig von Fans erkannt, die sich dann wahrscheinlich fragten, warum er jetzt so allein in der Stadt herumlief. Nein, das war ihm unangenehm.
Freunde treffen, Bekannte, eine Geliebte? Eigentlich hatte er keine Freunde. Bekannte hatte er schon, auch in München, aber wollte er die wirklich treffen? Einer seiner Schauspielerkollegen lebte mit seiner Familie draußen am Starnberger See. Sollte er da jetzt hinfahren und ihn besuchen? Es war nett, wenn man sich mal zufällig begegnete und ein paar Worte wechselte. Aber jetzt dorthin fahren und ihn besuchen? Das wäre doch eher seltsam gewesen. Sie hatten sich nicht wirklich etwas zu sagen. Außerdem war der andere sicher mit seiner Familie beschäftigt oder beim Golfen oder wo auch immer.
Er könnte auch in die Hotelbar gehen. Da würde er sicher von Damen seines Alters erkannt und angesprochen werden. Aber wollte er das wirklich? Eher nein.
Also würde er gut zu Abend essen. Das Restaurant hier im Hotel war nicht schlecht, und die Spesen zahlte ja die Filmproduktion. Schon erstaunlich, dass das für ihn immer noch eine gewisse Rolle spielte, obwohl er nun wirklich genug Geld verdient hatte in seinem Leben. Danach vielleicht doch noch einen kurzen Drink an der Bar? Ein paar Worte wechseln mit dem einen oder anderen Fan, der ihn erkannte und natürlich alles über den neuen Film wissen wollte? Wann trifft man schon einmal den Hauptdarsteller, so in echt, von Person zu Person?
Manchmal fühlte es sich schon auch gut an, so bewundert und geradezu „verehrt“ zu werden. Als wäre man … – na ja, egal. Und dann vielleicht noch ein bisschen Fernsehen, Nachrichten schaun. Vielleicht ein kurzes Telefonat mit seiner Frau und den Kindern zu Hause. Ach nein, die Kinder wären ja schon im Bett. Egal, so würde sein Tag heute wohl verlaufen.
Morgen dann der Dreh. Er würde wieder im Mittelpunkt stehen, er war die Hauptfigur. Diese Rolle hatte er sich durch konzentrierte Arbeit während der letzten Jahre und Jahrzehnte erarbeitet. Deshalb war er erfolgreich.
Das „Glück“ aber hatte er nicht gefunden. Das schienen die anderen zu haben, die noch am Anfang ihrer Karriere standen, oder vielleicht nie eine Karriere haben würden, sondern jetzt einfach dabei waren, Nebenrollen spielten, Hilfspersonen am Set waren oder was auch immer, und dabei einfach Spaß hatten.
Das Glück hatte er nicht gefunden. Wie das jetzt wieder klang. Wie in einer dieser Schnulzen, die immer am Sonntag Abend auf dem Sender liefen, der auch seinen Kommissar Baumann ausstrahlte. Baumann und die Suche nach dem Glück. Oder: Baumann und die Glücksritter. … Einfach lächerlich dieses ganze Gesülze. Höchste Zeit, dass es morgen wieder mit der Arbeit losging. …
Wolfgang Gottwald (06/2020)