Donnerstag, 25. April 2024

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Street Art: Ist das Kunst oder kann das weg?

Manche zahlen dafür Millionen, zum Beispiel für ein Werk von Banksy, und für andere sind es einfach nur Schmierereien. Die Rede ist von Street Art, häufig auch Graffiti genannt. Schauen wir uns einmal an, welche Rechtsfragen sich in diesem Zusammenhang stellen.

1. Ist Street Art Kunst?

Ist Street Art Kunst? Interessante Frage, aber darüber sollen sich andere den Kopf zerbrechen. Kunstkritiker zum Beispiel, oder Kunstsachverständige – oder solche, die sich dafür halten.

a) Juristisch, also vom Standpunkt des Urheberrechts aus betrachtet, kommt es nicht darauf an, ob etwas „Kunst“ ist, sondern es reicht aus, wenn es sich um ein „Werk“ im Sinne von § 2 UrhG handelt. Darunter versteht man eine „persönliche geistige Schöpfung“.

Und was ist eine „persönliche geistige Schöpfung“?  Gute Frage. Das sagt das UrhG nämlich nicht. Rechtsprechung und Fachliteratur haben sich, wenn man so will, darauf geeinigt, dass es auf die „Individualität“ der Kreation ankommt, auf die „Schöpfungshöhe“. Das hilft Ihnen jetzt auch nicht viel weiter? Kann ich gut verstehen.

Also weiter: Zentrales Kriterium ist die „Individualität“. In dem Werk muss die Individualität des Urhebers zum Ausdruck kommen. Rein handwerkliche Leistungen, die jedermann mit durchschnittlichen Fähigkeiten ebenso zustande brächte, reichen nicht aus. Auch nicht, dass etwas sehr zeitaufwändig oder mit besonderen Mühen oder Kosten verbunden war. Routinemäßige Leistungen und damit die „Masse des Alltäglichen“ sind nicht urheberrechtlich geschützt.

„Schön“ muss es nicht sein, sondern es gibt auch potthässliche Werke. „Individuell“ ist vielmehr das Zauberwort hier. Ausdruck eines individuellen Charakters soll ein Werk sein, kreativ, eine individuelle Botschaft vermitteln. …

b) Das LG München I (ZUM 2015, 423) hat in einem Urteil aus 2015 einem Graffiti-Schriftzug die Werkqualität zuerkannt. Begründung:

„Bei der grafischen Gestaltung der Schriftzeichen … handelt es sich um eine persönlich-geistige Schöpfung. Bei Betrachtung des Schriftzuges stechen insbesondere  die Neigung der Buchstaben, der verlängerte Buchstabe … und die Schlaufe am Ende des Logos ins Auge. Insgesamt zeichnet sich der hier zu beurteilende Schriftzug durch eine verspielt schwungvolle Ästhetik aus (s. auch OLG München, Beschluss vom 16.07.2014, Az 29 U 4823/13). …“

c) „Verspielt schwungvolle Ästhetik“. Na dann. Sind Sie jetzt schlauer? Nein? Macht nichts. Auch Juristen und Gerichte sind sich häufig nicht einig, ob ein bestimmtes „Werk“ urheberrechtlich geschützt ist oder nicht. Die Grenzen sind fließend. Was der eine für genial hält, ist für den anderen nur nichtssagender Alltagsmist. Wie bei der Kunst eben.

2. Darf man Street Art/Graffiti einfach wegwischen oder übermalen?

Nehmen wir einmal an, das „Gemälde“, welches Sie da eines Morgens an Ihrer Hauswand vorgefunden haben, erfüllt den Werkbegriff und ist somit urheberrechtlich geschützt. Müssen Sie es dann dulden oder dürfen Sie es entfernen, zum Beispiel abwaschen?

a) Rechtlich haben wir hier einen Konflikt zwischen dem Urheberrecht des Schöpfers des Werkes, also des Street Artists, und dem Eigentumsrecht des Hauseigentümers.

b) Der Urheber eines Werkes hat das alleinige Verwertungsrecht nach § 15 ff UrhG (Verfielfältigen, Verbreiten usw). Er kann sich grundsätzlich gegen eine Entstellung, Änderung oder Zerstörung seines Werkes zur Wehr setzen (§§ 14, 39, 62 UrhG).

c) Umgekehrt muss der Hauseigentümer Beeinträchtigungen seines Eigentums nicht hinnehmen (§ 903 BGB) und kann verlangen, dass eine Störung oder Beschädigung seines Eigentums wieder beseitigt beziehungsweise rückgängig gemacht wird (§ 1004 BGB).

d) In der Regel wird dieser Konflikt im Rahmen einer Interessenabwägung dahingehend gelöst, dass das Eigentumsrecht vorgeht. Begründet wird das damit, dass der Graffiti-Künstler dem Hauseigentümer sein Werk gewissermaßen „aufgedrängt“ hat. Der Eigentümer wollte nicht, dass seine Hauswand mit Graffiti bemalt wird. Deshalb kann er jetzt auch verlangen, dass das Gemälde oder der Schriftzug wieder beseitigt wird, oder selbst zum Schrubber greifen. Das Urheberrecht muss hier also dem Eigentumsrecht weichen.

Ich nehme einmal an, die meisten von Ihnen hätten das instinktiv beziehungsweise von Ihrem Rechtsgefühl her genauso gesehen.

3. Darf man Street Art fotografieren und die Fotos ggf. sogar kommerziell verwerten?

a) Wenn Sie in Barcelona durch das Barri Gòtik schlendern – oder Barrio Gotico, wie wir in unserem Schulspanisch gern sagen -, finden Sie an verschiedenen Ecken ganz interessante Beispiele von Street Art. Dürfen Sie diese Werke einfach fotografieren?

Ja, Sie dürfen. Das Recht dazu gibt Ihnen § 59 des Urhebergesetzes, nämlich die sogenannte Panoramafreiheit (dazu gleich mehr).

(Na, vielleicht sollten wir unseren Beispielsfall doch besser von Barcelona nach Berlin-Kreuzberg verlegen, damit wir mit der Anwendung des deutschen UrhG keine Probleme bekommen. Das Urheberrecht ist zwar europarechtlich stark vereinheitlicht; aber ich könnte Ihnen jetzt nicht auf Anhieb sagen, wo genau die Panoramafreiheit in dem entsprechenden spanischen Gesetz verankert ist).

b) Dürften Sie von Ihren Fotos auch Postkarten herstellen und diese dann verkaufen?

Ja, auch das dürften Sie. Der BGH hat dazu in seiner Entscheidung zur East Side Gallery (GRUR 2017, 390) ausgeführt:

„Die Bestimmung des § 59 Abs. 1 Satz 1 Urhebergesetz gestattet nicht nur das Fotografieren eines Werkes, das sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindet, sondern darüber hinaus die – auch gewerbliche – Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe der Fotografie“.

Und in einer Entscheidung, in der es um eine Schiffsbemalung ging, urteilte das OLG Köln (WRP 2016, 274):

„Ein an einem Seeschiff außen angebrachtes Werk darf nach § 59 Urhebergesetz vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden“.

Die Panoramafreiheit gibt Ihnen also  das Recht, Street Art, Graffiti und andere Werke, die sich (bleibend) an öffentlichen Straßen oder Plätzen befinden, zu fotografieren und Ihre Fotos auch kommerziell zu verwerten.

c) Aber, damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Die Panoramafreiheit gilt nur im öffentlichen Raum, nicht im Museum, nicht auf einer Vernissage und (eigentlich) auch nicht in einem privaten Hinterhof. Ob Sie dort fotografieren dürfen, entscheidet der Inhaber des Hausrechts. Und wenn Sie erst auf eine Leiter steigen müssen, um über eine Mauer hinweg eine Hauswand fotografieren zu können, dann ist das auch nicht mehr von der Panoramafreiheit gedeckt. Ich sag´s ja nur, nicht dass Sie mir auf dumme Gedanken kommen. …

4. Fazit: Als Künstler hat man es nicht leicht

Street Art kann Kunst bzw. ein urheberrechtlich geschütztes Werk darstellen, muss es aber nicht. Es kommt jeweils auf die Umstände des Einzelfalles an.

Im Verhältnis zum Gebäudeeigentümer, dem der Street Artist seine Kunst ungefragt aufdrängt, zieht der Sprayer regelmäßig den Kürzeren. Der Eigentümer darf Graffiti ohne weiteres entfernen, ohne dass er dadurch das Urheberrecht des Graffiti-Künstlers verletzt.

Anders ausgedrückt: Auch wenn Street Art im Einzelfall Kunst ist, darf sie der Eigentümer „wegmachen“. Das Besprühen fremder Hauswände oder U-Bahnwaggons kann darüber hinaus sogar eine strafrechtliche Komponente haben (§ 303 StGB, Sachbeschädigung).

Als Künstler hat man es eben nicht leicht.

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
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