Donnerstag, 25. April 2024

Previous slide
Next slide

Hate Speech and the First Amendment

Amerika ist längst eine gespaltene Gesellschaft, in der sich Republikaner und Demokraten im Kongress teilweise hasserfüllt bekämpfen. Noch schlimmer scheint die Spaltung außerhalb der politischen Institutionen, nämlich in der Gesellschaft selbst.

Befeuert wird die Auseinandersetzung, zumindest aus Sicht mancher Amerikaner, durch den früheren US Präsidenten Trump und die ihn unterstützenden Medien, allen voran bestimmte prominente Meinungsmacher des Fernsehsenders Fox News.

Den vorläufigen Höhepunkt erreichte diese (zunächst verbale) Aggression mit dem Sturm einiger Trump-Anhänger auf das Kapitol.

Aber auch in Deutschland wird die Auseinandersetzung härter. Gerade vor dem Hintergrund der Coronakrise haben sich Gruppierungen gebildet, die auf der Straße und vor allem auch in den sozialen Medien „kein Blatt vor den Mund nehmen“ bzw jede Form von Rücksicht und Anstand vermissen lassen, oder wie man das auch immer ausdrücken will.

Grund genug, sich einmal etwas näher anzusehen, wo im US-amerikanischen Recht die Grenze zwischen (erlaubter) freier Rede und (verbotener) sogenannte „Hate Speech“ liegt.

Dabei wollen wir uns orientieren an grundlegenden Entscheidungen des US Supreme Court, die teilweise schon viele Jahre zurückreichen, aber auch heute noch die geltende Rechtslage prägen.

Teaser: Im letzten Punkt geht es um aktuelle Rap Lyrics

1. Chaplinsky v. New Hampshire (315 U.S. 568)

Die freie Rede (Free Speech) ist in der amerikanischen Verfassung, beziehungsweise im First Amendment ausdrücklich garantiert. Der Kongress, so heißt es dort, darf kein Gesetz erlassen, welches die Freiheit der Rede einschränkt.

Bestimmte Schranken enthält die verfassungsrechtliche Garantie nicht.

Dennoch hat der US Supreme Court (SCOTUS) in seiner Chaplinsky Entscheidung vier Kategorien von Rede identifiziert, die nicht unter die verfassungsrechtliche Garantie der freien Rede fallen.

– The lewd and obscene
– The profane
– The slanderous
– Insulting or fighting words

Mit den ersten beiden Kategorien wollen wir uns hier nicht weiter beschäftigen. Das sind im wesentlichen unanständige, obszöne Ausdrücke, für die das amerikanische Recht keinerlei Rechtfertigung sieht.

Deshalb hören Sie im amerikanischen Fernsehen auch keine Kraftausdrücke, sondern die sind immer mit einem mehr oder weniger dezenten Beep übertönt. Und auch amerikanische Rap Songs, die häufig voll von solchen Ausdrücken sind, werden im US Radio nicht unzensiert gesendet. Ganz anders bei uns. Wir stören uns nicht an shit, fuck oder cunt. Vielleicht auch deshalb, weil die schlimmeren dieser Ausdrücke von den deutschen Hören vermutlich ohnehin nicht erfasst und verstanden werden.

Wir wollen uns hier vor allem mit der vierten Kategorie beschäftigen, nämlich mit den sogenannten fighting words. Was sind fighting words?

In der Chaplinsky Entscheidung hat der Supreme Court dazu noch nicht so sehr viel gesagt, in späteren Entscheidungen dagegen schon.

2. Terminiello v. Chicago (337 U.S. 1)

In dieser Entscheidung hat der Supreme Court die Bedeutung der freien Rede hervorgehoben. Einer der Zwecke freier Rede ist es, Streit hervorzurufen, und zwar auch dann, wenn das die Zuhörer wütend macht. Das Recht, seine Meinung offen kund zu tun und verschiedene Ideen zu propagieren, ist eines der Hauptmerkmale, die eine freie Gesellschaft von einem totalitären Regime unterscheidet.

Eine Grenze wird dort erreicht, wo die freie Rede clear and present danger hervorruft, also eine klare und unmittelbare Gefahr, die über Unannehmlichkeiten, Ärger oder eine gewisse Unruhe hinausgeht.

Die Key Words, welche die Grenze der Redefreiheit markieren, sind also clear and present danger of a serious substantive evil.

Das hilft schon einmal ein bisschen weiter, ist aber natürlich auch noch nicht so konkret, wie man es sich wünschen würde.

3. Dennis v. United States (341 U.S. 494)

Der Sachverhalt, der dieser Entscheidung zu Grunde liegt, war folgender: Elf Mitglieder der kommunistischen Partei hatten unter Berufung auf das Kommunistische Manifest von Karl Marx sozialistische Reformen propagiert und waren deswegen von unteren Gerichten wegen Umsturzversuchen verurteilt worden (advocating violent overthrow of the government).

Der SCOTUS bestätigte die Entscheidung: Aufrufe, die Regierung gewaltsam zu stürzen, sind nicht vom Recht der freien Rede gedeckt.

4. Yates v. United States (354 U.S. 298)

Die Yates Entscheidung ist die Fortsetzung des Dennis Urteils, und gleichzeitig auch eine Konkretisierung oder gar Abkehr von diesem Urteil.

In der Yares Entscheidung hat der Supreme Court nämlich noch einmal unter Berufung auf die frühere Terminiello Entscheidung festgestellt, dass das First Amendment, also die verfassungsrechtlich garantierte Redefreiheit, auch radikale Meinungen schützt, solange sie keine clear and present danger darstellen.

Das Verfassungsgericht zieht hier eine Trennlinie zwischen dem Verbreiten einer abstrakten Doktrin, zum Beispiel des kommunistischen Manifests, auf der einen Seite und konkreten Umsturzplänen auf der anderen Seite. Nur solche konkreten Pläne stellen eine clear and present danger dar. Die bloße Verbreitung radikaler Ideen dagegen ist vom Grundrecht der freien Rede geschützt.

5. Brandenburg v. Ohio (395 U.S. 444)

Wo die Grenze zwischen der Verbreitung radikaler Ideen (erlaubt) und dem konkreten Aufruf zum Umsturz der Regierung (verboten) liegt, hat der US Supreme Court dann in der Brandenburg Entscheidung näher dargelegt.

Aufrufe zur Gewalt und zum Gesetzesbruch sind vom Grundrecht der freien Rede nicht geschützt, wenn sie unmittelbar zu einer Gesetzesverletzung aufrufen und gleichzeitig auch geeignet sind, solche Handlungen zu provozieren.

Mit den Worten des SCOTUS: „Fighting Words“ =  directed to and likely to incite imminent lawless action.

Dies ist eine recht hohe Hürde, vor allem wegen der Anforderung, dass die „lawless action“ unmittelbar bevorstehen muss.

6. National Socialist Party of America v. Village of Skokie (432 U.S. 43)

Die NSPA wollte in der Gemeinde Skokie einen Aufmarsch abhalten und dabei auch Fahnen mit Hakenkreuz Symbolen verwenden. Die Gemeinde verbot das, und der Supreme Court hob das Verbot wieder auf.

Im Nachgang zu dieser Entscheidung hat dann der Supreme Court des US Bundesstaates Illinois explizit entschieden, dass das zur Schau stellen des Hakenkreuzes eine symbolische Form der freien Rede darstellt und deshalb vom Grundrecht der freien Rede geschützt ist (69 Ill.2d 605).

Das Hakenkreuz an sich ist, soweit bekannt, in den USA nach wie vor nicht verboten und stellt für sich allein genommen keine Form von Hate Speech oder Fighting Words dar.

Polemisch könnte man sagen: Man darf im US Fernsehen zwar nicht „shit“ oder „fuck“ sagen, aber mit der Hakenkreuzflagge durch die Straße ziehen, das geht schon.

7. NAACP v. Claiborne Hardware (458 U.S. 886)

Die Abkürzung NAACP steht für National Association for the Advancement of Colored People, also eine Organisation zur Förderung farbiger Menschen.

Kern der Entscheidung ist, dass auch Boykottaufrufe vom Recht auf freie Rede geschützt sind, wenn diese darauf abzielen, politische, soziale oder wirtschaftliche Veränderungen herbeizuführen.

8. Virginia v. Black (538 U.S. 343)

Nicht vom Recht auf freie Rede gedeckt sind sogenannte true threats. Das sind Aussagen, mit denen ein anderer in ernst zu nehmender Weise mit rechtswidriger Gewalt bedroht wird.

Oder mit den Worten des US Supreme Court: where a speaker directs a threat to a person with the intent of placing the victim in fear of bodily harm or death.

Welche genauen Anforderungen an die Absicht des Äußernden zu stellen sind, dessen Worte bei dem Betroffenen Angst vor Tod oder Körperverletzung auslösen, blieb in der Entscheidung offen.

In der US amerikanischen Rechtsprechung werden dazu verschiedene Ansichten vertreten. Teilweise wird verlangt, dass der Sprecher eine entsprechende Absicht hat, die man ihm dann auch nachweisen muss. Andere Urteile lassen es ausreichen, wenn der Betroffene die Äußerung subjektiv als Bedrohung empfindet. Wieder andere stellen zwar auf den Empfänger ab, wenden dabei aber einen objektiven Maßstab an. Durfte der Empfänger die Äußerung vernünftigerweise als Drohung gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit verstehen?

9. Elonis v. United States (575 U.S. 723)

In diesem Fall hatte jemand einen Rap Song auf seiner Facebook Seite gepostet, in dem er seine Ex-Frau mit dem Tod bedrohte. In dem Urteil ging es dann darum, ob das als true threat anzusehen war.

Der SCOTUS entschied, dass man dem Täter die erforderliche Absicht nicht nachweisen könne beziehungsweise dass das Instanzgericht, das über den Fall entschieden hatte, die entsprechende Absicht nicht hinreichend dokumentiert hatte. Somit wurde die Verurteilung aufgehoben, da kein true threat vorlag.

Anmerkung: Es gibt dazu eine abweichende Meinung eines Verfassungsrichters, der zufolge es nicht auf den Vorsatz des Täters ankommt, sondern dass  bereits grobe Fahrlässigkeit (recklessness) ausreicht. Aber das war, wie gesagt, nicht die Mehrheitsentscheidung.

In jedem Fall wird man immer auch auf den Kontext achten müssen. Äußerungen in den sozialen Medien, die sich gegen konkrete Personen richten, wird man sehr viel eher als true threats anzusehen haben als beispielsweise Liedtexte, die ja auch noch unter die Kunstfreiheit (work of art) fallen. Wobei die Gerichte natürlich auch die Gefahr sehen, dass es recht leicht ist, konkrete Drohungen dann in Form von Rap-Texten oder Parodien zu verstecken.

10. Fazit

So, das war jetzt also ein kleiner Überblick über die Rechtsprechung vor allem des US amerikanischen Supreme Courts (SCOTUS) zum Thema Redefreiheit und Hate Speech.

Ich denke, dass diese Überlegungen in gleicher Weise in Deutschland relevant sind, wenn es darum geht, die Schranken der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit in Abgrenzung zum Recht des Betroffenen zu ziehen, ohne Angst vor Drohungen gegen die eigene körperliche Unversehrtheit oder gar das eigene Leben zu leben.

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt/Attorney at Law

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
Attorney at Law

Leopoldstraße 51
80802 München

Tel.: 089/383 293-10
Fax: 089/383 293-13

w.gottwald@kanzlei-dr-gottwald.de