Donnerstag, 28. März 2024

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Klage und Klageerwiderung im US-amerikanischen Zivilprozess

Wie läuft eigentlich ein amerikanischer Zivilprozess ab? Welche Parallelen und Unterschiede gibt es zu einem Gerichtsverfahren in Deutschland? Was sind die Gründe und Auswirkungen dieser Unterschiede? …

Diese Dinge möchte ich Ihnen in dieser kleinen Beitragsreihe gern darstellen. Und zwar exemplarisch am Zivilprozess im US-Bundesstaat New York.

Fangen wir am Anfang an, also damit, wie man eine Klage bei einem New Yorker Gericht einreicht und wie der Beklagte dann auf die Klage zu reagieren hat.

1.  Klage bzw Summons and Complaint

a) Deutschland

Wie man hier bei uns in Deutschland einen Zivilprozess einleitet, wissen Sie wahrscheinlich:

Man schickt die Klageschrift mit einer beglaubigten und einer unbeglaubigten Abschrift an das Gericht. Früher per Post und gern fristwahrend vorab per Telefax. Seit einiger Zeit setzt sich aber mehr und mehr die Klageeinreichung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) durch.

Nach Einzahlung  des Gerichtskostenvorschusses (3 Gebühren – entspricht bei einem Streitwert von € 25.000 immerhin € 1.233) durch den Kläger stellt das Gericht die Klage an den Beklagten zu und fordert diesen auf, binnen einer vom Gericht gesetzten Frist mitzuteilen, ob er sich gegen die Klage verteidigen will, und sodann auf die Klage zu erwidern.

b) New York

– Auch in New York verfasst der Kläger (= plaintiff) – bzw. sein Anwalt – eine Klageschrift (complaint) und reicht diese bei Gericht ein. Diesen Vorgang nennt man filing. Beim filing wird eine sogenannte filing fee von ca. $ 200 fällig, und das Klageverfahren erhält ein Aktenzeichen, genannt Index Number.

Für Anwälte ist das Electronic Filing, also die Klageeinreichung auf elektronischem Wege, Pflicht. Nicht anwaltlich vertretene Kläger können die Klage dagegen nach wie vor auch in Papierform einreichen. Nebenbei: Die Electronic Case Filing Rules & Instructions sind sehr komplex und umfassen 32 Seiten!

– An den New York Supreme Court, der entgegen seinem Namen ein Gericht erster Instanz ist, kommt man erst ab einer Klagesumme von $ 25.000, während die deutschen Landgerichte ja bereits ab € 5.000 zuständig sind. (Für kleinere Klagesummen ist in New York City der Civil Court  zuständig). Die Unterscheidung zwischen State Courts und Federal Courts lassen wir jetzt mal weg. …

– Die formalen Anforderungen an eine Klage sind relativ streng (Section 2101 ff CPLR: Form of Papers). In der Klageschrift soll jeder Absatz konsequent durchnummeriert werden und nur jeweils eine Behauptung enthalten (Section 3014 CPLR: Statements). 

– Inhaltliche Anforderungen an die Klageschrift ergeben sich zB aus den Sections 3015 ff CPLR. Der Sachvortrag muss zumindest diejenigen Behauptungen enthalten, die, ihre Richtigkeit unterstellt, die Anspruchsvoraussetzungen (cause of action) erfüllen. Außerdem soll jede Klage einen bestimmten Antrag enthalten (Section 3017 CPLR: Demand for relief). Allerdings sollen die Gerichte dies eher großzügig handhaben (Section 3026: Defects shall be ignored if a substantial right of a party is not prejudiced).

Nach meiner Erfahrung stellt man dem Schriftsatz, zumal in größeren Verfahren, häufig sowohl ein Inhaltsverzeichnis (Table of Contents) als auch ein Verzeichnis der relevanten Rechtsquellen (Table of Authorities) voran, untergliedert in Cases (Präzedenzfälle) und Statutes (Gesetze). Der amerikanische Anwalt will es dem Richter (Your Honor) also so leicht wie möglich machen. Aber da hat natürlich jeder Anwalt so seinen eigenen Stil, in gewissen Grenzen.

– Zusammen mit der Klage muss der Kläger ein Dokument vorbereiten, welches sich Summons nennt. Darin wird der Beklagte darauf hingewiesen, dass ihm hiermit eine Klageschrift zugestellt wird, auf die er innerhalb von 20 bzw. 30 Tagen reagieren muss. Versäumt er diese Frist, dann kann gegen ihn ein sogenanntes default judgment, also ein Versäumnisurteil, ergehen.

Summons and Complaint müssen dann vom Kläger an den Beklagten (= defendant) zugestellt werden. Diesen Vorgang nennt man Service of Process. In den USA  hat sich ein eigenständiger Berufszweig herausgebildet, der solche Klagezustellungen auf professioneller Basis übernimmt (professional process servers). In einem Land, in dem es keine Einwohnermeldeämter gibt, ist es also der Eigeninitiative der Klagepartei überlassen, ob es gelingt, die Klage zuzustellen.

Die Bestätigung, dass dem Beklagten die Klageschrift förmlich zugestellt wurde, muss der Kläger wiederum bei Gericht einreichen, um dem Gericht auf diese Weise nachzuweisen, dass der Beklagte die Klage auch tatsächlich erhalten hat.

– Als Alternative zur sofortigen Einreichung einer Klageschrift gibt es das sog. Notice Pleading oder Summons with Notice. Dabei ist der/dem Summons (siehe oben) keine Klage beigefügt, sondern es wird nur in sehr knapper Form die Art des geltend gemachten Anspruchs (zB Vertragsverletzung, Fahrlässigkeit) genannt sowie die vom Kläger angestrebte Rechtsfolge (zB Zahlung von Schadensersatz). An den Beklagten ergeht die Aufforderung, dem Anspruch wiederum innerhalb von 20 bzw 30 Tagen entgegenzutreten (Notice of Appearance), da andernfalls ein Versäumnisurteil gegen ihn erlassen wird (default judgment). Will sich der Beklagte gegen den Anspruch verteidigen, dann wird er eben diese Notice of Appearance abgeben und den Kläger zugleich auffordern, nun seinerseits binnen 20 Tagen eine Klageschrift (complaint) nachzureichen. Versäumt der Kläger das, dann wird sein Anspruch auf einen Antrag des Beklagten hin abgewiesen (Section 3012b CPLR).

c) Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Das, was man in den USA „Summons“ nennt, entspricht  von seiner Funktion her der gerichtlichen Verfügung, mit der ein deutsches Gericht dem Beklagten die Klageschrift zustellt und ihn auffordert anzuzeigen, ob er sich gegen die Klage verteidigen will.

Der Unterschied besteht darin, dass die Zustellung der Klageschrift und die Aufforderung an den Beklagten, fristgerecht auf die Klage zu erwidern, in Deutschland vom Gericht ausgehen (sogenannte Amtszustellung), während die Zustellung in den USA Sache der Klagepartei ist.

Das amerikanische Gericht nimmt hier also eine passivere Rolle ein als ein deutsches Gericht. Dies ist meines Erachtens ein charakteristisches Merkmal des US-amerikanischen Zivilprozesses, welches uns später bei der Beweisaufnahme (Zeugenbefragung) und auch an anderer Stelle immer wieder begegnet wird. Den Prozessparteien und insbesondere deren Anwälten kommt in den USA eine wichtigere oder jedenfalls arbeitsintensivere Rolle zu als bei uns.

Notice Pleading/Summons with Notice könnte man vielleicht, wenn man so will, mit unserem gerichtlichen Mahnverfahren vergleichen.

2. Klageerwiderung bzw Answer, Motion to Dismiss the Complaint

a) Deutschland

In einer deutschen Klageerwiderung setzt sich der Beklagte mit der Klage im einzelnen auseinander. Falls Einwendungen oder Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen, wird man diese vorab rügen, bevor man dann auf die Ausführungen des Klägers zum Sachverhalt und zur Rechtslage näher eingeht.

Die Klageerwiderung reicht der Beklagte direkt beim Gericht ein, welches den Schriftsatz dann an die Klagepartei weiterleitet.

b) New York

Hält ein amerikanischer Beklagte eine Klage für unzulässig, zum Beispiel weil das angerufene Gericht unzuständig ist oder weil ihm die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, dann wird er bei Gericht beantragen, das Verfahren sofort einzustellen bzw. die Klage schon aus diesen formalen Gründen abzuweisen (Motion to Dismiss).

Andernfalls setzt man sich in der Klageerwiderung mit den Ausführungen in der Klageschrift im einzelnen auseinander. Das nimmt häufig sehr formalistische Züge an. Der Grund dafür ist, dass das New Yorker Prozessrecht verlangt, dass der Beklagte auf jede einzelne Behauptung in der Klageschrift eingeht, und sei es nur in der Form, dass er die Behauptung anerkennt (Admitted) oder bestreitet (Denied).

Da die Klageschrift so aufgebaut ist, dass praktisch jeder Absatz eine gesonderte Randziffer erhält, kann eine Klageerwiderung schon auch einmal so aussehen, dass da über mehrere Seiten immer nur eine bestimmte Randziffer steht und dahinter dann entweder Admitted oder Denied. Verstehen tut man das Ganze dann nur, wenn man Answer und Complaint nebeneinander legt.

An dieser Stelle noch ein kleiner Tipp für Eingeweihte: Enthält ein Absatz der Klageschrift mehrere Behauptungen, so ist es dem Beklagten in seiner Klageerwiderung erlaubt, den gesamten entsprechenden Absatz der Klageschrift zu bestreiten. Dies gilt auch dann, wenn in diesem Absatz auch unstreitig richtige Tatsachenbehauptungen enthalten sind. Dem Kläger ist es also zu empfehlen, für jede Behauptung einen eigenen Absatz herzunehmen und nicht mehrere Ausführungen zusammen zu packen. Aber dies nur am Rande.

Die Klageerwiderung schickt der Beklagte, Sie ahnen es schon, nicht an das Gericht, sondern direkt an den Kläger und lässt sich den Empfang bescheinigen. Die Empfangsbescheinigung reicht der Beklagte dann beim Gericht als Nachweis dafür ein, dass er fristgerecht auf die Klage erwidert hat.

c) Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Inhaltlich weisen eine deutsche Klageerwiderung und eine amerikanische Answer to the Complaint große Gemeinsamkeiten auf.

In beiden Fällen setzt sich der Beklagte, wie sollte es auch anders sein, mit der Zulässigkeit und der Begründetheit des gegen ihn erhobenen Anspruchs auseinander, wobei eine amerikanische Klageerwiderung deutlich formalistischer aufgebaut ist als eine deutsche.

Der Beklagtenvertreter in Deutschland verfolgt manchmal die Taktik, nur oder zumindest schwerpunktmäßig auf solche Ausführungen der Klageschrift einzugehen, gegen die er gute Argumente vorbringen kann, sodass sich die Klageerwiderung im Zusammenhang recht überzeugend liest. Schwachpunkte der eigenen Position lässt man dagegen weg oder behandelt sie nur am Rande. Wenn das Gericht nicht gut aufpasst, kann es also leicht übersehen, dass der Beklagte gegen die eine oder andere Behauptungen der Klageschrift keine Gegenargumente hat.

Bei einem aufmerksamen Gericht ist diese Strategie allerdings wenig Erfolg versprechend, da auch im deutschen Prozessrecht der Grundsatz gilt: Behauptungen des Klägers, die vom Beklagten nicht bestritten werden, gelten als zugestanden. Mehr noch: In vielen Fällen hilft nicht einmal ein einfaches Bestreiten, sondern der Beklagte muss hier substantiiert auf die entsprechende klägerischen Behauptung eingehen und konkret darlegen, wie es seiner Auffassung nach anders war. Demgegenüber scheint mir im amerikanischen Prozessrecht ein schlichtes Bestreiten (Denied) häufig auszureichen.

3. Und wie geht es dann weiter?

An die Klage und Klageerwiderung schließt sich dann das an, was man im amerikanischen Zivilprozessrecht Discovery oder Pretrial-Discovery nennt. Ein Verfahren, welches ganz erhebliche Unterschiede zum deutschen Zivilprozess aufweist.

Aber darauf möchte ich dann in einem Folgebeitrag näher eingehen (Cliffhanger). Also bleiben Sie gespannt. …

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt/Attorney at Law

DR. GOTTWALD
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