Donnerstag, 25. April 2024

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Trump und die Haftungsfreistellung im Corona-Wahlkampf

Vielleicht haben Sie es ja auch irgendwo in den Nachrichten gesehen, gehört oder gelesen: US Präsident Donald Trump lässt sich von den Teilnehmern seiner Wahlkampfveranstaltungen eine Erklärung unterschreiben, wonach ihn diese nicht verklagen oder sonstwie auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn sie sich bei einer seiner Veranstaltungen mit dem Corona-Virus infizieren.

Also das klingt ja auf den ersten Blick schon recht ungewöhnlich. Bei Merkel oder Söder könnte man sich so etwas eher nicht vorstellen, oder?

Grund genug, finde ich, dass man sich diese Haftungsfreistellung unter juristischen Gesichtspunkten einmal näher ansieht. Da sind nämlich schon ein paar interessante Aspekte dabei.

1. Der Wortlaut der Erklärung

Fangen wir einmal damit an, was die Teilnehmer an einer Wahlkampfveranstaltung dem Trump-Team genau bestätigen sollen:

By registering for this event, you understand and expressly acknowledge that an inherent risk of exposure to COVID-19 exists in any public place where people are present. In attending the event, you and any guests voluntarily assume all risks related to exposure to COVID-19, and waive, release, and discharge Donald J. Trump for President, Inc.; …; or any of their affiliates, directors, officers, employees, agents, contractors, or volunteers from any and all liability under any theory, whether in negligence or otherwise, for any illness or injury.

Ich glaube, ich brauche das hier nicht zu übersetzen, sondern Sie verstehen das auch so, oder?

2. Wer wird hier eigentlich von der Haftung freigestellt?

Zunächst einmal: Wer wird hier eigentlich von einer Haftung freigestellt?

a) Nun, von der Haftung freigestellt wird nicht Donald Trump persönlich, sondern die Donald J. Trump for President, Inc., also eine juristische Person/Gesellschaft/Corporation.

Das ist auch konsequent, denn als Schuldner einer eventuellen Haftung kommt ja schon von Gesetzes wegen in erster Linie der Veranstalter und nicht etwa der Redner in Betracht. (Etwas anderes mag dann gelten, wenn The Donald wieder einmal vom Redetext abweicht und seine Anhänger in der Veranstaltung auffordert, sich jetzt gegenseitig innig zu umarmen und zu küssen. Aber diese Variante lassen wir jetzt einmal beiseite).

b) Darüber hinaus soll die Freistellung auch zugunsten der mit dem Veranstalter verbundenen Unternehmen (affiliates), Geschäftsführer (directors, officers), Angestellten, Vertreter (agents), Vertragspartner (contractors) und freiwilligen Helfer wirken.

Das geht schon sehr weit. Trotzdem hätte ich insoweit keine oder kaum rechtliche Bedenken. Aber gut, man könnte  ggf. schon auch sagen, dass dieser Personenkreis zu unbestimmt ist. (So sagt das beispielsweise ein US Professor in einem Beitrag auf CGTM)

3. Wer soll die Haftungsfreistellung erklären?

Im Text heißt es:

you and your guests … release … from … liability … .

Die Haftungsfreistellung wird also vom Teilnehmer der Veranstaltung erklärt, und zwar sowohl für sich als auch für seine Gäste.

Geht das?

a) Eine erwachsene (volljährige) und nicht in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person kann natürlich grundsätzlich für sich selber eine Haftungsfreistellung erteilen. Da hätte ich – vorbehaltlich dem, was weiter unten noch kommt – keine allzu großen Bedenken.

b) Kinder und Jugendliche dagegen können grundsätzlich nicht selbstständig auf ihre Rechte und Ansprüche verzichten. Und Menschen, die in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt sind, können das auch nicht. Da schießt der Trump-Text also etwas über das Ziel hinaus.

c) Und ein Teilnehmer kann grundsätzlich auch nicht für einen anderen Teilnehmer (guest) auf dessen Rechte und Ansprüche verzichten, sondern dafür müsste er von diesem schon entsprechend bevollmächtigt sein. Also ein Verzicht auch für die mitgebrachten Gäste geht daher meines Erachtens ebenfalls nicht.

4. Welche Art von Risiko soll von der Haftungsfreistellung umfasst sein?

Insoweit heißt es in der Erklärung:

all risks related to exposure to COVID-19…. for any illness or injury.

Die Haftungfreistellung soll also alle Risiken umfassen, die mit COVID-19 irgendwie in Verbindung stehen, in erster Linie also das Ansteckungsrisiko.

Zu unbestimmt? Also ich hätte damit eigentlich auch noch kein größeres Problem.

5. Welche Art von Haftung, welches Fehlverhalten soll von der Haftungsfreistellung umfasst sein?

a) Jetzt wird es interessant. Dazu steht nämlich in der Erklärung:

any and all liability under any theory, whether in negligence or otherwise.

Aha, von jedweder Haftung, unter jeder erdenklichen Anspruchsgrundlage, sei es Fahrlässigkeit oder etwas anderes, möchte der Veranstalter also freigestellt werden. Das heißt also: Freistellung von einer vertraglichen Haftung und von einer deliktischen Haftung, Freistellung für Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit und sogar Vorsatz.

Das geht meines Erachtens nicht.

b) Im deutschen Recht heißt es in § 276 BGB, dass dem Schuldner die Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus erlassen werden kann. Soweit die Haftungsfreistellung also auch vorsätzliches Fehlverhalten umfassen soll, wäre das nach deutschem Recht eindeutig unwirksam.

c) Und wie sieht es mit der Haftung für ein (grob) fahrlässiges Fehlverhalten aus?

Nun, individualvertraglich geht das wohl, jedenfalls bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit.

d) Nun muss man aber sehen, dass sich diese Erklärung an eine Vielzahl von Personen richtet. Es handelt sich also nach meinem Verständnis um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 ff BGB. Und in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann der Verwender die eigene Haftung eben nicht so weitgehend ausschließen wie in einer Individualvereinbarung.

aa) § 309 Nr. 7 BGB besagt, in welchen Fällen ein Haftungsausschluss in AGB unwirksam ist und unterscheidet dabei zwischen Personenschäden und Sachschäden.

Bei der Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit ist jedweder Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders (oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders) beruhen, unwirksam.

Bei sonstigen Schäden, die also nicht in einer Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit bestehen, ist der Ausschluss oder die Begrenzung der Haftung unwirksam, wenn diese auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders (oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders) beruhen.

bb) OK, das war jetzt wahrscheinlich etwas kompliziert oder auch verwirrend. Ich fasse es einmal etwas vereinfachend zusammen: Die Haftung für grobes Verschulden kann man in AGB nie ausschließen. Und wenn es um die Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit geht – was bei einer Ansteckung mit dem Corona Virus ja regelmäßig der Fall ist -, dann kann sich der Veranstalter noch nicht einmal für eine einfach fahrlässige Pflichtverletzung von der Haftung freizeichnen, erst recht nicht von einer grob fahrlässigen oder gar vorsätzlichen Pflichtverletzung.

e) Das bedeutet: Auch wenn die Wahlkampfteilnehmer eine solche Erklärung unterschreiben, muss das Trump-Team alles unternehmen, um eine Ansteckung nach Möglichkeit auszuschließen. Der Veranstalter haftet insoweit für jede Art von Fahrlässigkeit. Er wird also insbesondere peinlich genau darauf zu achten haben, dass die Hygieneregeln, Abstandsregeln usw. eingehalten werden. Nur solche Ansteckungsrisiken, die trotz Einhaltung der vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfaltsregeln unvermeidbar sind, tragen die Teilnehmer dann selber.

f) Welche Sorgfaltsanforderungen da im Einzelfall bestehen, ist natürlich eine Frage der Wertung und Auslegung. Wie viel Desinfektionsmittel muss zur Verfügung stehen? Welche Abstände müssen eingehalten werden? Wie intensiv muss das von den Ordnern überwacht und notfalls auch durchgesetzt werden? Das sind dann alles Einzelfragen, über die man trefflich streiten kann.

g) Davon abgesehen gibt es da auch noch das Problem mit der Transparenz. Gemäß § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB kann eine AGB-Klausel schon allein deshalb unwirksam sein, weil die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Fragen Sie sich doch einmal selber: Haben Sie den genauen Inhalt der oben zitierten Erklärung, von eventuellen Sprachproblemen einmal abgesehen, in allen ihren Bestandteilen und Facetten klar erfasst und verstanden? Und jetzt sind Sie, wenn Sie diesen Beitrag hier lesen, vermutlich Jurist oder haben eine juristische Ausbildung durchlaufen, was man von der Mehrzahl der Trump-Anhänger nicht unbedingt annehmen kann. …

6. Welches Recht gilt hier eigentlich, deutsches oder amerikanisches?

Die obigen Ausführungen beziehen sich auf das deutsche Recht. Aber welches Recht findet denn hier eigentlich Anwendung?

a) Nun, wenn ein amerikanischer Staatsbürger bei einer Wahlkampfveranstaltung in Amerika zu Schaden kommt und dann gegen den Veranstalter vor einem amerikanischen Gericht klagt, findet natürlich amerikanisches Recht Anwendung.

b) Exkurs: Gilt nach amerikanischem Recht das gleiche wie nach deutschem Recht?

Antwort: Das weiß ich nicht so genau. Da ich aber auch einmal in Amerika studiert und sogar eine Anwaltszulassung in New York habe, kann ich Ihnen zumindest folgendes sagen:

Amerikanisches Recht und deutsches Recht weichen im Ergebnis nicht so stark voneinander ab. Die Ansätze sind zwar unterschiedlich. Im deutschen Recht haben wir viel in Gesetzbüchern und Paragrafen geregelt, während sich das amerikanische Recht stärker auf Gerichtsurteile und Präzedenzfälle stützt.

Aber die relevanten Überlegungen, also das, worauf es in der Sache ankommt, sind doch häufig sehr ähnlich. Welche Pflichten hat ein Veranstalter? Wann handelt jemand fahrlässig? Wann ist ein Haftungsausschluss möglicherweise zu unbestimmt, zu weitgehend oder sittenwidrig? Das sind alles Punkte, über die sich der amerikanische Jurist genauso Gedanken macht wie der deutsche Jurist.

Ganz nebenbei: Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum es deutsche Juristen doch immer wieder schaffen, nach einem Masterstudium von nur einem Jahr (und einem relativ kurzen Vorbereitungskurs) die Anwaltsprüfung für New York oder Kalifornien zu bestehen, obwohl in diesen Prüfungen regelmäßig auch 50 % der amerikanischen Teilnehmer durchfallen. Und die haben immerhin 3 Jahre lang amerikanisches Recht studiert. Das juristische Denken ist eben in Amerika und Deutschland nicht so furchtbar unterschiedlich. Wer das einmal gelernt hat, der kann dies sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantik umsetzen. Aber das nur ganz nebenbei.

c) Aber jetzt nehmen wir einmal an, dass sich unter den Trump-Anhängern in einem amerikanischen Stadion auch deutsche Zuhörer befinden. Wenn sich so einer ansteckt, kann der den Veranstalter dann in Deutschland nach deutschem Recht verklagen?

aa) Lassen wir die Frage, ob ein deutsches Gericht für so einen Fall überhaupt zuständig wäre, einmal außer Betracht. Das ist der Bereich des internationalen Zivilprozessrecht, auf das ich jetzt nicht näher eingehen möchte.

bb) Bleiben wir beim sogenannten materiellen Recht. Kann sich der infizierte deutsche Teilnehmer auf die Bestimmungen des deutschen BGB, also auf deutsches Vertragsrecht und auf deutsches Deliktsrecht berufen?

Ein deutsches Gericht würde diese Frage nach dem (deutschen bzw europäischen) internationalen Privatrecht beantworten, welches im Einführungsgesetz zum BGB bzw vorrangig in den Verordnungen Rom I und Rom II geregelt ist. Danach unterliegen Ansprüche aus unerlaubter Handlung (Deliktsrecht des BGB) dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat (Art. 40 EGBGB) bzw in dem der Schaden eintritt (Art. 4 Rom II VO). Hatten der Ersatzpflichtige und der Verletzte zur Zeit des Haftungsereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem selben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden.

All diese Regeln führen also bei einer Wahlkampfveranstaltung in den USA auch nach deutschem Kollisionsrecht zum amerikanischen Recht. Denn dort hat der Veranstalter gehandelt. Dort ist im Zweifel die Ansteckung eingetreten usw.

Und wie sieht es mit vertraglichen Ansprüchen aus? Der Teilnahme an einer Wahlkampfveranstaltung liegt ja in der Regel auch ein Vertragsverhältnis zu Grunde.

Für die Beantwortung dieser Frage haben wir in Deutschland bzw. in Europa die EU-Verordnung Rom I über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. Diese Verordnung besagt im Ergebnis: Wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben, unterliegt das auf Dienstverträge anzuwendende Recht dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Dienstleister (Veranstalter) sitzt in unserem Fall in Amerika. Daher findet auch auf vertragliche Ansprüche amerikanisches Recht Anwendung.

Obiges gilt, wie gesagt, wenn ein Deutscher seine Ansprüche gegen das Trump-Team vor einem deutschen Gericht einklagen würde. Dieses deutsche Gericht, sofern es denn seine Zuständigkeit bejaht, wird also amerikanisches Recht anwenden – und zu diesem Zweck ein Rechtsgutachten zB beim MPI oder einem Uni-Institut für ausländisches Recht einholen.

Was würde ein amerikanisches Gericht tun? Nun, amerikanische Gerichte wenden in der Praxis eigentlich immer amerikanisches Recht an. Dort gilt – zumindest in Fällen wie diesem – ein Gleichlauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht. Wenn sich ein amerikanisches Gericht für zuständig hält – und das tut es eigentlich immer, wenn der Fall auch nur Minimum Contacts mit den USA aufweist -, dann wendet ein amerikanisches Gericht in aller Regel amerikanisches Recht an und macht sich (trotz der Rule 44.1 FRCP) häufig nicht die Mühe, erst aufwändig zu ermitteln, wie denn der Fall gegebenenfalls nach deutschem Recht zu beurteilen wäre.

d) Fazit: Wir kommen hier also bei allen Gestaltungen zur Anwendung amerikanischen Rechts. Das war für Sie jetzt nicht wirklich überraschend, oder? Und ich würde sogar behaupten, dass man nach amerikanischem Recht mehr oder weniger zum gleichen Ergebnis kommt wie nach deutschem Recht.

7. Ausblick

Jetzt am Schluss wage ich noch eine Prognose. Ich denke, dass sich diese Art von Haftungsfreistellungs- oder Risikoübernahmeerklärung, die wir jetzt alle für einen Spleen des Crazy Old Man aus dem Oval Office halten, in dieser oder ähnlicher Form durchsetzen wird.

Nicht nur in Amerika, wo man es seit langem gewohnt ist, dass auf jedem Kaffeebecher von McDonald’s steht: Vorsicht heiß, Sie könnten sich daran verbrennen!

Sondern auch bei uns. Warten Sie einmal ab, wenn das bei uns mit den kommerziellen Massenveranstaltungen wieder losgeht. Ich könnte mir wirklich gut vorstellen, dass Sie, wenn Sie das nächste Ticket für ein Konzert von Billie Eilish oder Rammstein kaufen, im Zuge des Buchungsvorgangs erklären müssen, dass Sie sich des Coronarisikos bewusst sind und den Veranstalter von den Folgen einer Ansteckung freistellen. (Gilt auch für Helene Fischer)

Im Zuge dieser Entwicklung wird dann vermutlich auch in Deutschland von den Gerichten genauer herausgearbeitet werden, was in so einer Freistellungserklärung genau geht und wo die rechtlichen Grenzen sind. Warten Sie es ab, in ein oder zwei Jahren wird Ihnen Trump noch als Visionär vorkommen. – Auch wenn der dann vielleicht – oder hoffentlich – kein Präsident mehr ist.

So, ich hoffe mal, das war jetzt einigermaßen interessant. Aber wenn Sie bis hierher dabei geblieben sind, muss es Sie ja irgendwie interessiert haben, oder?

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
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