Dienstag, 16. April 2024

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Verklagt in New York

Nehmen wir einmal folgendes an:

Sie waren in Ihrem letzten Urlaub in New York. Also damals, als das noch problemlos möglich war. Und dort ist Ihnen dann ein kleines Missgeschick passiert. Sie haben infolge einer vorübergehenden Unaufmerksamkeit jemanden mit Ihrem E-Scooter, den Sie sich von Ihrem Airbnb-Vermieter ausgeliehen haben, leicht angefahren. Eigentlich ist dem anderen nicht viel passiert. Sie haben ihre Handynummern und E-Mail-Adressen ausgetauscht und Ihren Aufenthalt unbeschwert zu Ende gebracht.

Drei Monate später erreicht Sie dann zu Ihrer großen Überraschung die Klageschrift einer amerikanischen Kanzlei, in der von bzw. für Ihren „Unfallgegner“ Krankenhauskosten in 5-stelliger Höhe geltend gemacht werden, und dann auch noch sogenannte „punitive damages“ in Höhe von mehreren 100.000 $.

Weil Sie angeblich extrem rücksichtslos (reckless) gefahren sind. Dabei sollen Sie außerdem etwas gerufen haben, was den Kläger wegen seiner Hautfarbe (black) und/oder seiner sexuellen Orientierung (gay) diskriminiert. Deshalb leidet er jetzt auch unter einer Angststörung (anxiety disorder) und traut sich nicht mehr auf die Straße. Und nur wegen Ihnen hat er auch seinen Job verloren und ist auf die schiefe Bahn geraten. Kurz: Sie mit Ihrem (in Manhattan verbotenen) E-Scooter haben das Leben eines unbescholtenen Familienvaters dreier (unehelicher) Kinder zerstört. – Amerikanische Klägeranwälte können ja so „pathetic“ sein.

Das ganze, also die Klageschrift (complaint) plus Demand for a Jury Trial, kam einfach so per E-Mail, zusammen mit der Verfügung des Richters, dass Sie auf die Klage innerhalb von 3 Wochen schriftlich erwidern sollen. Alles auf Englisch natürlich. …

Was tun? Kann man so eine Klage einfach ignorieren nach dem Motto: Amerika ist weit und hinfahren will ich da in nächster Zeit sowieso nicht mehr?

Ihre erste Internetrecherche hat ergeben, was Sie schon geahnt hatten, dass Anwälte speziell in New York sehr sehr teuer sind. Die verlangen da schnell einmal einen Vorschuss von mehreren 1.000 $, bevor sie sich die Klageschrift überhaupt anschauen und mit Ihnen über die Sache reden.

Ihre deutsche Rechtsschutzversicherung, sofern Sie eine haben, winkt auch ab: So ein Fall ist nicht von Ihrem Versicherungsschutz abgedeckt, und einen Anwalt in New York kann Ihnen „Anwalt´s Liebling“ leider auch nicht vermitteln.

Also eine echt „bescheuerte“ Situation, in der Sie sich da befinden.

Gehen wir einmal gemeinsam durch, welche Überlegungen Ihnen jetzt weiterhelfen könnten:

1. Sind US-amerikanische Urteile in Deutschland vollstreckbar?

Unterstellen wir einmal, dass Sie in den USA kein Vermögen haben. Wenn der Kläger also an Ihr Geld kommen will, müsste er aus einem amerikanischen Urteil in Deutschland gegen Sie vollstrecken können.

Insoweit gilt: US-amerikanische Urteile sind nicht automatisch in Deutschland vollstreckbar, sondern müssen erst in einem speziellen Verfahren von einem deutschen Gericht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. Der amerikanische Kläger, wenn er denn den Prozess in New York gegen Sie gewinnt, kann das amerikanische Urteil nicht einfach an einen deutschen Gerichtsvollzieher schicken, damit dieser dann in Deutschland gegen Sie vollstreckt, sondern er müsste das amerikanische Urteil erst in Deutschland anerkennen und für vollstreckbar erklären lassen.

Das ist ja schon einmal in gewisser Weise beruhigend. Sie bzw. Ihr Geld in Deutschland sind also nicht unmittelbar und automatisch für die New Yorker Gerichte greifbar.

2. Unter welchen Voraussetzungen können US-amerikanische Urteile in Deutschland vollstreckt werden?

a) Die Anerkennung ausländischer Urteile, auch solcher aus den USA, richtet sich in Deutschland nach § 328 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO). Danach ist die Anerkennung eines ausländischen Urteils u.a. in folgenden Fällen ausgeschlossen:

aa) Wenn die Gerichte des ausländischen Staates nach den deutschen Gesetzen nicht zuständig sind.

bb) Wenn dem Beklagten, der sich auf das Gerichtsverfahren nicht eingelassen hat, die Klageschrift nicht ordnungsmäßig oder nicht rechtzeitig zugestellt wurde.

cc) Wenn die Anerkennung des ausländischen Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.

dd) Wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist.

b) Gehen wir diese Ausschlussgründe einmal der Reihe nach durch, um zu sehen, ob Ihnen da der ein oder andere Punkt vielleicht weiterhilft.

aa) Fehlende Zuständigkeit des ausländischen Gerichts

In unserem Beispielsfall würde ein New Yorker Gericht über einen (Verkehrs-)Unfall in New York entscheiden. Wäre das nach deutschem Recht zulässig?

Nun ja, der allgeeine Gerichtsstand einer Person ist dort, wo sich sein Wohnsitz befindet. Das ist in Ihrem Fall nicht New York, sondern Deutschland. Klingt schon mal ganz gut.

Darüber hinaus gibt es jedoch auch nach deutschem Recht den sogenannten Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO). Danach ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen, zum Beispiel Verkehrsunfällen, das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die unerlaubte Handlung begangen wurde. Bei einem Unfall in New York wären das die Gerichte von New York.

Eine fehlende Zuständigkeit der New Yorker Gerichte steht der Anerkennung des amerikanischen Urteils in unserem Beispielsfall also nicht im Wege.

bb) Keine ordnungsgemäße Zustellung der Klage

(1) Deutschland erkennt ausländische Urteile grundsätzlich nur dann an, wenn dem Beklagten die Klageschrift ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt wurde. Eine Klagezustellung per E-Mail, wie im Beispielsfall, wäre nach deutschem Recht unzureichend. Nach deutschem Verfahrensrecht würde die Klage im übrigen auch nicht vom Klägeranwalt zugestellt, sondern vom Gericht, also „hoheitlich und von Amts wegen“.

Hilft Ihnen das schon weiter? Nein, leider nicht. Denn nach überwiegendem Rechtsverständnis kommt es bei der ordnungsgemäßen Klagezustellung auf die Rechtsordnung des Landes an, in dem das Gerichtsverfahren stattfindet. Der deutsche Richter würde im Anerkennungsverfahren also prüfen, ob Ihnen die Klage nach amerikanischem Recht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Und in Amerika ist es nun einmal so üblich, dass die Klagezustellung nicht vom Gericht vorgenommen wird, sondern vom Anwalt des Klägers.

(2) Außerdem, und das hat mich auch überrascht, weil ich es erst kürzlich in einem eigenen Fall hatte: Das Verfahrensrecht von New York kennt eine Vorschrift, die im Kern folgendes besagt: Erweisen sich die üblichen Zustellungmethoden als unpraktikabel, dann kann die Zustellung auch auf eine andere Art und Weise erfolgen, die das Gericht auf Antrag anordnet und zulässt. Das steht so in § 308 Abs. 5 CPLR (Civil Practice Law and Rules) für New York.

Wenn der Kläger von Ihnen nur Ihre E-Mail-Adresse kennt, nicht aber Ihre Postanschrift in Deutschland, dann kann es Ihnen durchaus passieren, dass der amerikanische Richter eine Zustellung der Klage per E-Mail zulässt. In diesem Fall müssen Sie dann davon ausgehen, dass nach amerikanischem Recht eine ordnungsgemäße Klagezustellung vorliegt.

(3) Hinzu kommt: Wenn Sie die E-Mail mit der Klageschrift tatsächlich bekommen haben, geht man auch nach deutschem Recht überwiegend davon aus, dass ein eventueller Zustellungsmangel „geheilt“ ist. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn Sie die Klage tatsächlich bekommen haben, können Sie nicht in rechtmäßiger Weise geltend machen, dass Sie die Klageschrift nicht erhalten haben. Tun Sie das trotzdem, nämlich im Anerkennungsverfahren vor dem deutschen Gericht, dann könnte das ein Prozessbetrug sein.

(4) Gleiches gilt für die Sprache. Nach internationalem Recht (HZÜ, dazu sogleich) soll dem zuzustellenden Schriftstück eine Übersetzung in die Landessprache beigefügt sein. Fehlt die, dann ist die Zustellung ebenfalls nicht ordnungsgemäß. Aber auch hier gilt: Wenn Sie hinreichend gut Englisch verstehen, werden Sie nicht mit Erfolg einwenden können, dass Sie der Klage nicht entnehmen konnten, dass und weswegen Sie da verklagt werden.

(5) Es stellt also zumindest ein erhebliches Risiko dar, sich nicht auf das Verfahren in New York einzulassen in der Hoffnung, dass später im Rahmen des deutschen Anerkennungsverfahrens festgestellt wird, dass die Zustellung der Klageschrift nicht ordnungsgemäß war. Sie können diesen Einwand dann zwar erheben, aber ob Sie damit durchkommen, ist ungewiss.

(6) Mögliche Argumentation: Auch für New Yorker Gerichte gilt bei Auslandszustellungen das HZÜ, nämlich das Haager Übereinkommen über Zustellungen von Schriftstücken im Ausland, und das HZÜ sieht ein eher umständliches, stark formalisiertes Zustellungsverfahren vor, jedenfalls nicht einfach eine E-Mail vom Klägeranwalt an den Beklagten. Allerdings gibt es auch zum HZÜ die Rechtsmeinung, dass eine fehlerhafte Zustellung bei rechtzeitigem tatsächlichen Erhalt des Schriftstücks als geheilt anzusehen ist (strittig).

(7) Es ist also eine schwierige Abwägungsfrage, welchen Weg man hier einschlagen will. Denn eines ist sicher: Wenn man sich einmal auf das Verfahren in New York eingelassen hat, kann man später im Anerkennungsverfahren in Deutschland nicht mehr geltend machen, dass die Zustellung der Klageschrift nicht ordnungsgemäß war.

cc) Unvereinbarkeit des ausländischen Urteils mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts

(1) Amerikanische Urteile werden in Deutschland dann nicht anerkannt, wenn sie insbesondere gegen die deutschen Grundrechte verstoßen. Hier gibt es eine wichtige Entscheidung des BGH zu den sogenannten „punitive damages“, also dem Strafschadensersatz, der in Amerika recht populär ist.

Der BGH hat entschieden, dass punitive damages mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar sind. Begründung: Unser Schadensersatzrecht will (nur) den tatsächlich entstandenen Schaden ausgleichen und nicht mehr. Eine Bestrafung des Beklagten/Täters ist dagegen nicht Sinn und Zweck eines Zivilverfahrens, sondern dafür sind in Deutschland die Strafgerichte zuständig.

(2) Die teilweise exorbitanten punitive damages, die in den USA gern von einer Jury ausgesprochen werden, sind in Deutschland also grundsätzlich nicht vollstreckbar, da sie mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts kollidieren. Gleiches könnte meines Erachtens im Hinblick auf die sehr sehr hohen Summen gelten, die in Amerika für emotional distress und pain and suffering bezahlt werden. Also da müssten Sie in Deutschland schon mindestens einen Arm oder ein Bein verlieren, bis Sie hier soviel Schmerzensgeld bekommen wie in den USA dafür, dass Sie sich an einem heißen Kaffee die Finger verbrennen.

Das sollte Sie zumindest schon einmal in gewisser Weise beruhigen. Damit sind dann zwar noch nicht die hohen Krankenhauskosten des Klägers in den USA vom Tisch, aber sehr wahrscheinlich doch ein eventuell vom amerikanischen Gericht darüber hinaus ausgeurteilter Strafschadensersatz.

dd) Mangelnde Gegenseitigkeit

Deutschland erkennt auch ausländischen Urteile aus solchen Staaten nicht an, die umgekehrt deutsche Urteile nicht anerkennen.

Dieser Einwand greift aber bei den meisten amerikanischen Bundesstaaten nicht. Insbesondere die Gerichte in New York und Kalifornien haben ein Anerkennungsverfahren, demzufolge deutsche Urteile in den USA ebenfalls anerkannt und vollstreckt werden können.

Mit dem Einwand fehlender Gegenseitigkeit werden Sie bei einem Verfahren in New York also nicht durchkommen.

c) Es findet im Übrigen auch keine sonstige Überprüfung des US-Urteils durch den deutschen Richter statt. Also im Rahmen des Anerkennungsverfahrens werden nicht etwas die Zeugen erneut vernommen oder die Beweise neu gewürdigt. Das wäre bei einem Jury-Verfahren ohnehin schlecht möglich. Und natürlich prüfen die deutschen Gerichte auch nicht nach, ob das Gericht in NYC das amerikanische materielle Zivilrecht richtig angewandt hat oder ob das Ergebnis nach deutschem Recht vielleicht anders ausgefallen wäre.

Nein, das Anerkennungsverfahren ist keine Wiederholung oder Revision des ausländischen Prozesses. Wenn man sich gegen die Klage verteidigen will, dann muss man das grundsätzlich in den USA vor dem dortigen Gericht tun.

3. Fazit

Was also tun, welche Schlussfolgerungen soll man aus den obigen Ausführungen ziehen?

a) Sie können nicht sicher davon ausgehen, dass ein amerikanisches Urteil in Deutschland keinesfalls vollstreckt werden kann. Urteile New Yorker Gerichte sind in Deutschland zwar nicht automatisch vollstreckbar, können jedoch in einem Anerkennungsverfahren von einem deutschen Gericht anerkannt und danach auch vollstreckt werden.

b) Wie stehen die Chancen, dass ein New Yorker Urteil in Deutschland anerkannt bzw. nicht anerkannt würde?

(1) Gut für den Beklagten, soweit es um die Anerkennung von Strafschadensersatz (punitive damages) geht. Solche Schadensersatzurteile werden in Deutschland in der Regel nicht anerkannt und vollstreckt.

(2) Ansonsten hat eher der Kläger ganz gute Karten.

(a) Lässt sich der Beklagte auf ein Verfahren vor einem New Yorker Gericht nicht ein, kann er zwar später im Anerkennungsverfahren versuchen einzuwenden, dass die Klageschrift nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Dies insbesondere dann, wenn die Zustellung nicht den Regeln des HZÜ entspricht. Man muss jedoch als Beklagter wissen, dass es für die Frage, ob eine Klage ordnungsgemäß zugestellt wurde, nicht auf die deutschen Zustellungsregeln ankommt, sondern auf die Regeln, die in dem Land gelten, in dem das Verfahren durchgeführt wurde.

In unserem Beispielsfall also auf die Zustellungsregeln von New York. Und wenn ein amerikanischer Richter eine Zustellung per E-Mail in seinem Beschluss ausdrücklich zugelassen hat, stellt es schon ein erhebliches Risiko dar, später in Deutschland zu argumentieren, dass diese Art der Zustellung (auch) in Amerika unzulässig war.

(b) Außerdem gilt nach zumindest teilweise vertretener Auffassung, dass ein Zustellungsmangel geheilt ist, wenn der Beklagte die Klageschrift tatsächlich rechtzeitig erhalten hat, sodass er sich gegen die Klage verteidigen konnte. Man müsste dann also schon die „Kaltschnäuzigkeit“ besitzen, in dem Anerkennungsverfahren in Deutschland zu behaupten, dass man die Klage nicht bekommen hat. Das kann und wird Ihnen, wenn Sie die Klageschrift per E-Mail tatsächlich bekommen und verstanden haben, kein Anwalt empfehlen. Denn dann würden Sie vor Gericht wahrheitswidrig vortragen, und so etwas kann als Prozessbetrug strafbar sein.

c) Die sicherste, wenn auch kostenintensivste Variante besteht also wohl in der Regel darin, dass man sich auf das Klageverfahren in New York einlässt, also dort einen Anwalt beauftragt, der Sie gegen die Klage verteidigt. Damit Sie dabei nicht an den falschen Kollegen in New York geraten, kann es sinnvoll sein, einen deutschen Anwalt zwischenzuschalten, der den Kontakt vermittelt. Dies gilt insbesondere dann, wenn Ihre Sprachkenntnisse gerade im juristischen Bereich vielleicht doch nicht ganz so gut sind, dass Sie sich selber eine sachgerechte Korrespondenz mit einem New Yorker Anwalt zutrauen.

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt – Attorney at Law (New York)

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
Attorney at Law

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