Dienstag, 16. April 2024

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„Klima-Kleber im Knast“


So titelte vor kurzem ein bekanntes Boulevard-Blatt.

Ja, das klingt gut, sprachlich gesehen. Da klickert und klackert die Alliteration wie aus dem Maschinengewehr. …

Ist die Maßnahme bzw. Forderung auch rechtmäßig oder rechtspolitisch sinnvoll? Werfen wir mal einen kurzen Blick (als unbedarfte Zivilrechtler) auf die Rechtslage.

1. Strafprozessordnung (StPO)

Mit der StPO lässt sich eine solche Freiheitsentziehung nicht begründen. Es handelt sich weder um Strafvollstreckung, die ein rechtskräftiges Urteil voraussetzt (§ 449 StPO), noch um Untersuchungshaft (§ 112 ff StPO) wegen Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr im Rahmen des Ermittlungsverfahrens.

2. Polizeiaufgabengesetz (PAG)

a) Rechtsgrundlage ist, zumindest in Bayern, das PAG, also das bayerische Polizeiaufgabengesetz.

Wie die Rechtslage in anderen Bundesländern aussieht, also ob es da eine entsprechende Regelung gibt, weiß ich nicht.

b) Das PAG enthält in Art. 17 ff eine Regelung zum Gewahrsam. In der alten Textausgabe (2009), die bei mir noch im Regal steht, war der Gewahrsam – mit entsprechender richterlicher Anordnung – noch auf maximal zwei Wochen beschränkt (Art 20 Satz 2 PAG).

Die aktuelle Fassung dieser Norm, die man natürlich auch im Internet findet, sieht dagegen einen richterlich angeordneten Gewahrsam von einem Monat vor, der sogar auf zwei Monate verlängert werden kann (Art 20 Absatz 2 PAG).

Die Maßnahme soll präventiven Charakter haben, also vorbeugend die Sicherheit und Ordnung schützen (Stichwort: Gefahrenabwehr).

3. Grundgesetz, Versammlungsgesetz und das Gebot der Verhältnismäßigkeit

Haben Sie da auch dieses Bild vor Augen, das man in der Zeitung sehen konnte: Ein junges Mädchen, offenbar motiviert von seiner idealistischen Vorstellung, die Welt bzw das Klima zu retten, soll jetzt in Polizeigewahrsam? Also dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.

Die richtige Reaktion des Staates auf solchen jugendlichen Protest wäre meines Erachtens: Erklärt den jungen Leuten bitte, dass die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit ein hohes Gut ist, welches auch im Grundgesetz geschützt ist – das wissen die aber auch so – , dass es für Versammlungen aber auch gewisse Regeln gibt. Eine Versammlung hat man in aller Regel spätestens 48 Stunden vorher anzumelden (§ 14 Versammlungsgesetz), damit die Polizei sich darauf einstellen und gegebenenfalls den Verkehr umleiten kann.

Außerdem wäre es meines Erachtens sinnvoll, bei Straßenblockaden vielleicht doch eine Rettungsgasse für Notfälle vorzusehen. Umgekehrt wäre es dann aber Aufgabe der Polizei, dafür zu sorgen, dass diese Rettungsgasse nicht von normalen Verkehrsteilnehmer genutzt wird, die sich bloß für besonders wichtig halten. Sondern eben wirklich Rettungsfahrzeugen vorbehalten bleibt.

Dass Demonstrationen mit Einschränkungen für die Allgemeinheit verbunden sind, ist ja durchaus üblich und legitim:

– Wenn die Piloten für eine Aufbesserung des kärglichen Salärs ihrer gar so ausgebeuteten und geknechteten Berufsgruppe streiken, geht flugtechnisch auch nicht mehr viel.

– Und wenn der öffentliche Nahverkehr in den Ausstand tritt, kommt es zu noch weit schlimmeren Einschränkungen für die Mobilität der Bevölkerung.

– Diversen Querköpfen hat man sogar eine Zeit lang regelmäßig einmal in der Woche die Leopoldstraße zur Verfügung gestellt, obwohl das natürlich auch zu Verkehrsbehinderungen geführt hat.

Im Vergleich dazu ist es doch geradezu Kleinkram, wenn da einmal für eine Stunde oder auch zwei der Stachus (Karlsplatz) verklebt wird. Finde ich zumindest.

Gut, Kunstwerke tatsächlich zerstören gehört eher ins Repertoire geistig verwirrter Gotteskrieger. Für den zivilisierten Klimaprotest dagegen sollte es auch die wasserlösliche Tinte an der Wand neben dem bekannten Kunstwerk tun, um für die nötige Aufmerksamkeit zu sorgen. Mit tatsächlichen Sachbeschädigungen ist niemandem gedient.

4. „Härtefälle“

Es mag Fälle geben, in denen so ein vorbeugender Gewahrsam vertretbar erscheint. Wenn beispielsweise ein „hart gesottener Demonstrant“ dem Polizeibeamten auch noch nach der vierten Blockade von Rettungswegen ins Gesicht grinst und ankündigt, dass er sich morgen wieder vor der Einfahrt zum Krankenhaus festkleben wird, dann kann man meines Erachtens schon darüber nachdenken, ob man den Aktivisten nicht einmal für ein paar Tage „aus dem Verkehr zieht“.

Aber bitte nicht jugendliche Ersttäter. Da kommen einem dann doch gleich Assoziationen mit dem Vorgehen der „Ordnungskräfte“ in Russland, China oder anderen Diktaturen. Und da wollen und sollten wir sicher nicht hin.

5. Verschärfung der Gesetze

Trotzdem gibt es doch tatsächlich auch bei uns Leute, die nach einer Verschärfung der Gesetze schreien.

Also bitte, bevor man so eine Forderung erhebt, sollte man dann vielleicht doch einmal einen Blick in die bestehenden Gesetze werfen: Nötigung, Sachbeschädigung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Behinderung von Rettungskräften … . In ganz extremen Ausnahmesituationen wird man sogar über fahrlässige Tötung oder ein bedingt vorsätzliches Tötungsdelikt nachdenken können. So wie man das bei Rasern tut. Nicht dass ich das für richtig halte, aber die vorhandenen Strafgesetze geben den Gerichten in entsprechenden Fällen durchaus scharfe Werkzeuge in die Hand.

Von den zivilrechtlichen Folgen der Beschädigung eines Kunstwerks ganz zu schweigen. Da kann so ein Suppenklecks an der falschen Stelle schnell mal ein paar Millionen kosten.

Die Palette der bereits vorhandenen Strafnormen und zivilrechtlichen Sanktionen ist bunt und breit. Da ist für jeden Richter, der einen Klimaaktivisten bestrafen will, etwas dabei. Für eine Verschärfung der Gesetze besteht nach meiner Einschätzung überhaupt kein rechtspolitisches Bedürfnis.

Vielleicht besser mal zuhören als zuschlagen.

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
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