Mountains and Rocks
Ich bin kein Bergsteiger und kann daher nicht so richtig nachvollziehen, was manche Menschen in eisige Höhen treibt, um einen Berg zu bezwingen; vielleicht sogar als Erster. Was mich anbelangt, ich muss nicht auf dem Matterhorn oder dem Mount Everest stehen.
Für mich haben die Berge, zumal ab einer gewissen Höhe, eher einen ästhetischen Aspekt: Es ist schön, sie anzuschauen. Bezwingen dagegen muss ich sie nicht.
Das Thema Bergsteigen oder vielleicht allgemein Sport oder Extremsport ist jedoch ein ganz guter Ausgangspunkt, um noch einmal auf die Frage nach dem Glück zurück zu kommen.
In meinem Beitrag „Happiness“ (Seite Impressionen, Sky and Sea) hatte ich ja als „Empfehlung“ ausgegeben bzw. referiert:
Sich nicht mit anderen vergleichen; zufrieden sein mit dem, was man hat; Frieden schließen mit dem eigenen Leben. …
Aber sind das nicht Empfehlungen für alte Leute, die kurz vor dem Nirvana stehen? Bedürfnislosigkeit als Schlüssel zum Glück?
Haben Verbesserungen, um nicht gleich von Spitzenleistungen zu reden, nicht geradezu zur Voraussetzung, dass man mit dem Erreichten nicht zufrieden ist, sondern nach immer mehr, nach immer Höherem und Besserem strebt?
Wie will man ein sehr gutes Examen schaffen, wenn man sich schon mit einem „befriedigend“ in den Übungsklausuren zufriedengibt?
Nehmen wir einmal ein paar Beispiele aus dem Sport: Wird ein Fußballmatch wohl ein hohes Niveau erreichen, wenn sich die Mannschaften im Vorhinein darauf verständigen, nicht auf Sieg zu spielen und die Tore gar nicht zu zählen?
Oder ein Marathonläufer: Kann der jemals eine gute Leistung erbringen, wenn er sich nicht mit anderen vergleicht, wenn es ihm nicht auf die möglichst beste Zeit ankommt? Würden dann nicht die meisten von uns schon nach einer sehr kurzen Strecke aussteigen und es sich im nächsten Biergarten gemütlich machen?
Führt also das Streben nach immer besseren Leistungen, nach einem immer höheren Lebensstandard zwangsläufig zu Unzufriedenheit und damit zu einem Zustand, der dem Glück abträglich ist?
Ich will ganz offen sein: Ich habe keine Lösung für diese Frage, aber meine vorläufigen Hypothesen wären folgende:
1. In „jungen Jahren“ (- wie alt klingt das denn?) ist ein gewisses Konkurrenzdenken wichtig, damit man sein Leistungspotenzial möglichst gut zur Entfaltung bringt. Ab einem gewissen Zeitpunkt sollte man dann aber mit dem zufrieden sein, was man erreicht hat.
Dann wurde man eben nicht CEO eines Weltkonzerns und hat keinen Nobelpreis für herausragende wissenschaftliche Leistungen gewonnen. Das heißt ja nicht, dass man deswegen gescheitert ist.
Der competitive Spirit ist also gut bis etwa 50 und soll danach einem Übergang in die Selbstzufriedenheit weichen? – Zugegeben, das klingt auch nicht gerade so, als könnte man damit den Literaturpreis gewinnen. Aber eine These, ein Ansatzpunkt für weitere Überlegungen ist es allemal.
Psychologische Forschungen zeigen übrigens, dass die meisten Menschen offenbar unbewusst genau so vorgehen. Dies erklärt, warum ältere Menschen häufig zufriedener sind als jüngere, obwohl sich deren Lebensumstände (zum Beispiel ihre Gesundheit) objektiv gesehen eher verschlechtern.
2. Ein weiterer Ansatz ist, dass die Ziele, die man sich setzt, realistisch sein sollten. Es macht nicht glücklich, sich in einem Großkonzern ständig mit dem Vorstandsvorsitzenden zu vergleichen und sich darüber zu ärgern, dass man weniger verdient und weniger Privilegien genießt.
Das Streben nach einem unrealistischen Ziel ist keine gute Strategie. Jedenfalls dann nicht, wenn man so lange todunglücklich ist, bis man dieses Ziel erreicht hat. Denn dann bleibt man voraussichtlich sein Leben lang unglücklich.
Sinnvoll könnte es dagegen sein, das (realistische) Ziel zu verfolgen, es zum Abteilungsleiter zu bringen, und sich dann eben auch darüber zu freuen, wenn man dieses Ziel erreicht.
Für den Beamten wäre dann eine bestimmte Besoldungsgruppe ein realistisches Ziel. Vorsitzender Richter am Landgericht oder Oberlandesgericht ja, Gerichtspräsident beim BGH eher nein.
3. Hilfreich ist vielleicht auch noch die Überlegung, dass man ein ambitioniertes Ziel in der Regel nicht sofort erreichen kann. Kein Berufsanfänger steigt bei einem DAX-Unternehmen als Vorstandsvorsitzender oder bei der Justiz als Vorsitzender Richter einer großen Strafkammer ein, sondern das ist ein langer Weg bis dorthin.
In diesem Sinne gilt: Der Weg ist das Ziel. Solange der Weg nach oben führt, also zum Ziel hin, sollte man damit zufrieden sein, auch wenn man das Ziel nicht sofort erreicht.
4. Letzter Punkt: Manche empfinden gerade den Wettkampf, das Kräftemessen mit anderen, das Bestehen von Herausforderungen als Quelle von Glück und Zufriedenheit.
Ist es also vielleicht so, dass es nicht den einen Weg zum Glück gibt, sondern dass dieser Weg für jeden Menschen anders aussieht? Dass für manche Menschen vielleicht sogar das Gegenteil von dem gilt, was Hector und die universitären Glücksforscher als den Weg zum Glück darstellen? Glücklich sein gerade dadurch, dass man sich eben doch mit anderen vergleicht? Glücklich sein, indem man die Gemeinschaft mit anderen, also Partnerschaft und Freunde nicht sucht, sondern meidet? …
Für die meisten von uns trifft das vermutlich nicht zu, für einige andere aber möglicherweise eben doch. Das würde dann zumindest die eine These bestätigen, dass man nicht zu sehr auf die Ratschläge anderer Leute hören sollte, sondern dass eben jeder für sich seinen Weg zum Glück finden muss.
Glück ist, was man selbst als Glück empfindet. Für den einen mag das die Luxusvilla in Malibu sein. Ein anderer quält sich vielleicht lieber in den frühen Morgenstunden bei Eiseskälte auf einen Achttausender hinauf. Und wieder ein anderer findet beides sinnlos und arbeitet lieber für eine gemeinnützige Organisation unter schwierigen Bedingungen. Oder verfasst gern (gute) juristische Schriftsätze und pseudo-philosophische Beiträge auf TikTok-Niveau. …
Ich denke, da muss jeder seinen eigenen Weg zum Glück finden.
Wolfgang Gottwald