Freitag, 26. April 2024

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US-Sammelklage gegen Drosten und Co.

Haben Sie das in der Tagesschau-App gelesen? Eine Gruppe von Anwälten, heißt es dort, will über eine US-Sammelklage Schadensersatzforderungen von Deutschen gegen den Virologen Christian Drosten von der Charité und den Direktor des Robert Koch Instituts, Lothar Wieler, wegen der in Deutschland verhängten Corona-Maßnahmen geltend machen, und zwar eben in Form einer sogenannten Sammelklage (class action) in den USA.

Frage: Kann das funktionieren? Soll man sich einer solchen Sammelklage anschließen? Winken da vielleicht sogar Millionen an Schadensersatz? Man hört ja manchmal, dass man in den USA schon eine 6-stellige Summe bekommt, wenn man sich an einem heißen Kaffee von McDonald‘s die Oberschenkel verbrennt. Also nichts wie hin zu diesem Anwalt aus Niedersachsen, der das angeblich organisiert, damit man auch ein Stück vom großen Kuchen abbekommt?

Für diejenigen unter Ihnen, die nicht gern viel lesen, sondern sich nur für das Ergebnis interessieren, hier also vorab das Ergebnis meiner Einschätzung:

1. US-Gerichte nicht zuständig

Bei einem rein deutschen Vorgang (deutscher Schädiger, deutscher Geschädigter, Schadenshandlung auf Deutschland beschränkt) werden Sie es schwer haben, ein US-Gericht zu finden, das sich dieser Sache annimmt. Die amerikanischen Gerichte legen zwar ihre Zuständigkeit bekanntermaßen sehr weit aus, lassen also häufig schon minimale Berührungspunkte (minimum contacts) mit den USA ausreichen, um sich für zuständig zu erklären. Aber wenn der Fall so gar keine Beziehung zu den USA aufweist, dann kommen Sie auch nicht zu einer Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte.

2. Kausalität und Verschulden eher zweifelhaft

Und wie soll das überhaupt mit der Kausalität aussehen? Also nehmen wir einmal an, die Coronatests seien tatsächlich, wie offenbar von Klägerseite behauptet wird, ungeeignet („Idiotentests“). Das allein begründet aber noch keinen Schaden und damit eben auch noch keinen Schadensersatzanspruch, sondern da müssen schon noch ein paar Zwischenschritte dazu kommen. Nämlich die Verhängung von Corona-Maßnahmen durch deutsche staatliche Behörden, dadurch bedingt Umsatzausfälle, Gewinneinbußen usw. Aber das alles als proximate cause, also adäquat kausal den Virologen anzulasten, erscheint schon sehr weit hergeholt. Auch wenn die deutsche Politik zweifelsohne mehr auf die Wissenschaft hört als Trump auf Dr. Fauci.

3. Ergebnis (Meine Meinung)

Also ich denke, dass dieses Vorhaben keine großen Erfolgsaussichten hat. Dafür 800 € (als Vorschuss) zu investieren, wie es der Organisator offenbar verlangt, erscheint mir dann doch eher rausgeschmissenes Geld. Aber das muss jeder selbst wissen.

So, und nachdem ich damit vermutlich die größte Neugier zunächst gestillt habe, sehen wir uns die Sache doch der Reihe nach im Einzelnen an. Dieser Fall bzw. diese Meldung beinhalten nämlich schon ein paar ganz interessante Rechtsfragen.

4. Was ist überhaupt eine Sammelklage?

Die Sammelklage (oder Class Action) ist eine Erfindung des US-amerikanischen Prozessrechts. Wie der Name schon sagt, klagt dabei eine Gruppe (class) von Geschädigten gegen einen Schädiger.

a) Angefangen hat das ganze vor etwa 50 Jahren. Die Idee war folgende: Wenn ein einzelner Verbraucher von einem großen Unternehmen geschädigt wird, dann hat er es, zumal in den USA, sehr schwer, seine Rechte effektiv durchzusetzen. Klageverfahren in den USA sind nämlich sehr teuer.

Das hängt auch damit zusammen, dass die Gerichte in den USA eine sehr viel passivere Rolle einnehmen als beispielsweise deutsche Gerichte. Die Beweisaufnahme (pretrial discovery und discovery) liegt in den USA fast vollständig in der Hand der Anwälte. Diese müssen sich um die Zeugenaussagen kümmern, geeignete Sachverständige finden und deren Gutachten vorfinanzieren. Das Gericht hält sich aus diesem Prozess weitgehend heraus. Während in Deutschland Zeugen und Sachverständige, auf Antrag einer Partei, vom Gericht geladen und dann im Prozess auch vorrangig vom Gericht befragt werden, ist das in den USA alles Sache der Anwälte.

Gerichtsverfahren sind somit aufwendig, und amerikanische Anwälte sind teuer. Stundensätze von 500 $ sind keine Seltenheit.

Wie soll es da ein einzelner Verbraucher zum Beispiel mit einem Unternehmen der Tabakindustrie oder einem Asbesthersteller aufnehmen? Diese Großkonzerne haben alles Geld der Welt, um sich mit teuren Großkanzleien gegen eine solche Klage zu verteidigen. Da hat der einzelne Verbraucher faktisch keine Chance.

b) An dieser Stelle kommt jetzt die Sammelklage in Spiel. Wenn sich nämlich viele Geschädigte, Hunderte oder Tausende, zusammentun und ihre Ressourcen bündeln, dann stehen diese als Gesamtheit einem Großunternehmen durchaus als ebenbürtiger Partner gegenüber. Die Sammelklage schafft also Chancengleichheit für berechtigte Anliegen. Schauen Sie sich mal den Film Erin Brockovich mit Julia Roberts an, dann wissen Sie, was ich meine.

c) Ein weiterer Aspekt ist folgender: In Amerika sind Erfolgshonorare seit langem üblich. Das funktioniert wie folgt: Die Klagepartei bezahlt dem Anwalt erst einmal nichts. Geht der Prozess verloren, dann bleibt das auch so. Gewinnt der Anwalt dagegen den Prozess, dann bekommt er einen nicht unerheblichen Teil der erstrittenen Geldsumme als Vergütung. Üblich sind da durchaus 30-40 %.

d) Und jetzt kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel, nämlich das sogenannte Jury-Verfahren. In Amerika entscheidet über die Frage, ob ein Unternehmen schuldig ist, also beispielsweise ein fehlerhaftes Produkt hergestellt hat, nicht der Richter, sondern häufig eine Gruppe von Geschworenen (Jury). Diese Jury entscheidet auch über die Höhe der Entschädigung. Und Sie können sich vorstellen, dass 12 „einfache Leute von der Straße“ (peers) eher bereit sind, einem Kläger ein paar Millionen als Schadensersatz zuzusprechen als es beispielsweise ein deutscher Berufsrichter ist.

e) Das hängt auch damit zusammen, dass das amerikanische Schadensersatzrecht anders ausgestaltet ist als das deutsche Schadensersatzrecht. Bei uns wird der tatsächlich entstandene Schaden kompensiert. Nicht mehr und nicht weniger. In den USA dagegen kann das Gericht darüber hinaus auch einen sogenannten Strafschadensersatz zusprechen. Man nennt das punitive damages. Die Idee dieser punitive damages ist es, den Schädiger oder vergleichbare Unternehmen abzuschrecken und davon abzuhalten, künftig wieder oder andere gefährliche Produkte auf den Markt zu bringen.

Und da greift häufig die Überlegung: Wie hoch muss dieser Strafschadensersatz sein, damit ein Unternehmen mit 1.000.000.000 Umsatz künftig keine gefährlichen Produkte mehr auf den Markt bringt? Reichen da 5.000.000, wenn das Unternehmen mit den gefährlichen Produkten 500.000.000 Gewinn einfährt? Sicher nicht. Deshalb langt die Jury beim Strafschadensersatz häufig ordentlich hin.

f) Das spielt dann alles zusammen: Die Anwälte der Kläger erwarten hohe Schadensersatzsummen. Davon bekommen Sie im Rahmen des Erfolgshonorars 30-40 % ab. Das bei einer Gruppe von ein paar hundert Klägern führt zu einem richtig lukrativen Prozess, mit einem recht geringen Risiko für den einzelnen Kläger.

So funktioniert das in den USA.

5. Sind Sammelklagen in den USA unumstritten?

Nein, keineswegs. Was ursprünglich eine gute Idee war, hat sich zu einer großen Gefahr für die Wirtschaft entwickelt.

Angesichts der oben beschriebenen Mechanismen werden nämlich nicht nur berechtigte Prozesse angestrengt, sondern es hat sich eine regelrechte Klageindustrie entwickelt. Anwaltskanzleien suchen per Zeitungsanzeige nach Geschädigten – oder solchen, die möglicherweise geschädigt sind – und machen dann ihre Ansprüche gegenüber einem Unternehmen geltend. Das Unternehmen steht dann vor der Wahl: Entweder sich gegen die Klage verteidigen, was sehr teuer ist, mit einer Rufschädigung verbunden und möglicherweise dazu führt, dass man am Ende doch von einer Jury zu einer 3-stelligen Millionensumme verurteilt wird. Oder sich auf einen Vergleich mit den Klägern einlassen.

Denn darauf zielen solche Sammelklagen häufig ab: Möglichst schnell und ohne großen Aufwand einen Vergleich abzuschließen, der den klagenden Anwälten, bei einer entsprechend großen Klägergruppe, ein hohes Erfolgshonorar sichert, während für den einzelnen Kläger häufig nur eine recht überschaubare Schadenersatzsumme übrig bleibt. Sehr schön dargestellt von John Grisham in seinem Roman The King of Torts.

Sammelklagen sind also eine große Gefahr für die Wirtschaft. Jedenfalls dann, wenn das Instrument der Sammelklage missbräuchlich verwendet wird und wenn die juristischen Rahmenbedingungen einen solchen Missbrauch zulassen. In Amerika ist dies gerade angesichts des Jurysystems meines Erachtens der Fall. Deshalb gibt es dort auch Bestrebungen, das Instrument der Sammelklage wieder etwas einzuschränken und zurückzudrängen. Wird aber wahrscheinlich nicht gelingen.

6. Gibt es in Deutschland auch Sammelklagen?

Nein, richtige Sammelklagen gibt es bei uns nicht. Die Zivilprozessordnung sieht das nicht vor.

a) Was wir seit ein paar Jahren haben, ist die Musterfeststellungsklage und – im Aktienrecht – das Musterverfahren für Kapitalanleger. Im Rahmen einer solchen Musterfeststellungsklage können Verbraucherverbände strittige Fragen in einem Musterprozess grundsätzlich klären lassen. Im Abgasskandal kam dieses Instrument zum Einsatz (Dieselmusterklage).

Eine Musterfeststellungsklage führt allerdings zunächst nur dazu, dass bestimmte Rechtsfragen für eine Vielzahl von Fällen geklärt werden. Was am Ende einer Musterfeststellungsklage nicht steht, ist, dass ein bestimmtes Unternehmen einem bestimmten Kläger eine bestimmte Geldsumme zu zahlen hat. Diese weiteren Schritte, also das Einklagen des individuellen Schadenersatzes, muss dann in Deutschland jeder Kläger selber vornehmen.

Wenn man es positiv sieht, könnte man sagen: Die Musterfeststellungsklage greift die positiven Aspekte der US Sammelklage auf und vermeidet deren Exzesse. Wenn man es negativ sehen will, kann man sagen: Die Musterfeststellungsklage ist ein relativ stumpfes Schwert. Oder warum glauben Sie zahlt ein deutscher Autobauer den Klägern in den USA mehr als denen in Deutschland? …

b) Als weiterer Aspekt kommt dazu: Erfolgshonorare wie in den USA sind in Deutschland nur in engen Ausnahmefällen zulässig und bislang auch nicht üblich. Bis vor ein paar Jahren waren Erfolgshonorare bei uns ganz verboten. Das hat sich jetzt etwas liberalisiert. Aber Verhältnisse wie in den USA haben wir hier nicht.

c) Hinzu kommt auch: In Deutschland gibt es nicht die hohen Schadensersatzsummen wie in den USA. Punitive damages kennen wir nicht. Die Bestrafung eines Schädigers ist nicht Aufgabe der Zivilgerichte, sondern dafür sind Staatsanwaltschaft und Strafgerichte zuständig. Der einzelne Geschädigte bekommt also von der Strafe, die ein Schädigerunternehmen zahlen muss, nichts ab. Bei uns bekommt der Geschädigte, wie gesagt, lediglich den ihm tatsächlich kausal entstandenen Schaden ersetzt.

d) Und diesen Schaden urteilt ein nüchterner Berufsrichter aus, keine emotionalisierte Laien-Jury.

So, das war jetzt doch eine Reihe von aus meiner Sicht ganz interessanten Aspekten zum Thema Sammelklage in den USA und Musterfeststellungsklage in Deutschland.

Lassen wir uns überraschen, was aus dem einleitend geschilderten Vorhaben einer Sammelklage in den USA gegen unsere deutschen Virologen herauskommt. Meine Vermutung ist ja, dass die Sache im Sande verlaufen wird, da die Ansprüche unbegründet und die amerikanischen Gerichte dafür auch gar nicht zuständig sind.

Dr. Wolfgang Gottwald
Rechtsanwalt

DR. GOTTWALD
Rechtsanwalt
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